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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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weiter neugierig. Jedenfalls haben Sie sich für Ihre Jahre nicht übel gehalten. Das ist es ja . . . das ist es ja . . . gutes Material, seltener Stoff . . . Verdammt, kleiner Mohl, was mußten Sie mir in die Quere kommen, welcher Teufel hat Sie geritten, daß Sie meinen Weg kreuzen mußten?« – Etzel sah erstaunt aus. »Ach herrje, ich meine, ein sehr logischer Teufel«, sagte er achselzuckend. Warschauer schnitt mit der flachen Hand waagrecht durch die Luft. »Davon red ich nicht, daß es bei Ihnen zweckgewollt war, nur davon, daß es für mich ein Attentat war, jawohl, ein Attentat«, sagte er mit so bösem Gesicht, daß Etzel erschrak. »Kann ich nicht verstehn«, sagte er. – »Ich mute Ihnen das Verständnis nicht zu, zweckgetrübter Jüngling«, war die schroffe Antwort; »obwohl ich mir bis zur Stunde schmeichelte . . . genug. Ich hatte abgeschlossen. Ich hatte Bilanz gemacht. Ich konnte keine Evenements mehr brauchen. Keine Aufrüttelungen mehr. Da brachen Sie in das friedhöfliche Idyll ein. Über denselben Saul, den ich vorhin zum Vergleich anzog, steht ein sublimes Wort im ersten Buch Samuel: Gott gab ihm ein anderes Herz.« Er blickte finster auf seine weißen, qualligen Hände, die auf den Knien lagen. – »Das gehört alles nicht zur Sache, Professor«, sagte Etzel hart. Warschauer sprang auf, schritt die schmale Stube entlang, kehrte zurück, setzte sich wieder. »Gut, sprechen wir also von der Gerechtigkeit«, entgegnete er mit sonderbar geschwellter Brust, was ihm ein zugleich prahlerisches und beleidigtes Aussehen gab.
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    Ja, es war etwas Beleidigtes und Prahlerisches an ihm, das an einen zurückgewiesenen Liebhaber erinnerte, der seine Vorzüge hinlänglich bewiesen zu haben glaubt. Doch als er nun zu reden begann, verzehrte die aufprasselnde Flamme des Geistes die unreinen, abstoßenden, gefährlichen, golemhaften Elemente wie nur je zuvor: »Gerechtigkeit, die große Mutter der Dinge, wie sie irgendein Schriftsteller nennt. Vielleicht war ich's selbst. In früheren Zeiten liebte ich die stolzen Euphemismen. Ein kluger Prälat sagte mir einmal: Rechte nicht, damit dir nicht dein Recht wird. Jedermann hat sich davor zu hüten. Man kann von der menschlichen Gesellschaft alles verlangen, sie wird sich immer zu Konzessionen herbeilassen, Gerechtigkeit zu verlangen, ist barer Nonsens, sie zu gewähren, stehn ihr nicht die Mittel zur Verfügung. Darauf ist sie auch nicht gestellt. Es ist, als ob man ein Baby in die Geheimnisse der Integralrechnung einführen wollte und dabei verabsäumt, ihm die nötige Milch zu geben. Wir haben nicht die nötige Milch. Ich bin auf dem Schiff mit einem Mann beisammen gewesen, der zum Völkerbund reiste, einem gläubigen Puritaner aus Boston. Er sagte mir begeistert: Die Aufgabe ist, Gerechtigkeit zwischen den Nationen zu schaffen. Ich lachte ihm ins Gesicht. Sie haben ein paar Stationen verschlafen, sagt ich ihm, Sie hätten in Ellis Island aussteigen sollen, um in die Einwandererbaracken zu gehn, auch ein kleiner Ausflug nach Mexiko hätte nicht geschadet, Sie sind in die verkehrte Richtung gekommen. Er sah mich mit offenem Mund an, begriff keine Silbe. Alle Gerechtigkeitsucher kommen in die verkehrte Richtung, was für einen Weg sie auch einschlagen, es ist immer der verkehrte. Ich habe den Verdacht, daß es eine selbstsüchtige Erhitzung des Gehirns ist, zerebrale Kraftmeierei. Michael Kohlhaas ist die hassenswerteste Figur auf Erden, kein Mensch außerhalb Deutschlands kapiert solchen preußischen Gedankengang. Das Weib vor Salomo, das das strittige Kind entzweigeschnitten haben will, ist nur die letzte Konsequenz davon. Gerechtigkeit heißt, das Kind entzweischneiden. Entrüsten Sie sich nicht, Mohl, es ist, wie ich sage, Ihre humanen Deliberationen bedeuten nicht mal so viel wie ein Fläschchen Öl auf den Niagarafall geschüttet. Salomo war ein weiser Mann, er hat alle Gerechtigkeitsapostel ad absurdum geführt, alle Pazifisten lächerlich gemacht. Gab es jemals, seit die Welt steht, einen gerechten Anlaß zu einem Krieg? Hat je ein General seine Schlachten aus Gerechtigkeitsliebe geschlagen? Oder wurde irgendeiner von den berühmten Länderdieben und Massenschlächtern zur Rechenschaft gezogen, außer wenn ihm sein Vorhaben mißlungen war? Ich rate Ihnen, mal über die Verwandtschaft, beinah hätt ich gesagt Blutsverwandtschaft der Begriffe Recht und Rache nachzudenken. Wann und wo in der Geschichte wurden Reiche gegründet, Religionen gestiftet, Städte

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