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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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um die paar Groschen bringt, mit denen solche reichen Schufte nicht mal für ihr Austernfrühstück auslangen. Soll sie sich auch breitschlagen lassen? Mohl soll reden, er soll sagen, ob man da kuschen soll oder ob es nicht honetter ist, man verzichtet auf den ganzen Zimt und verreckt im Drecke. Sie warf sich auf den Schemel, zog die spitzen Schultern hoch und brach in einen hysterischen Weinkrampf aus. Na, die ist gut, dachte Etzel, bestürzt, ein rabiates Frauenzimmer, und er machte den Versuch aufzustehen. »Geh hinaus«, herrschte Melitta ihre Mutter an, »ich hab mit dem da was zu reden.«
    Sie wartete, bis die Tür geschlossen war, dann flüsterte sie mit finsterem Gesicht: »Der Mensch ist hin, wenn ihm nicht ein Anwalt zu seinem Recht verhilft. Ich weiß einen, der soll 'n gerissener Kunde sein, J. Silberbaum, Lottumstraße. Aber so einer rührt den Finger nicht ohne Vorschuß. Vierzig Mark oder nicht in die la Mang. Leihen Sie mir die vierzig Mark, Mohl, ich zahl's Ihnen in Raten zurück. Bin momentan im Dalles. Hätt ich's, so müßt ich Sie nicht drum bitten.« Etzel verbarg seine Verlegenheit. Alles in allem besaß er noch sechsundachtzig Mark. Miete und Kost waren für den Monat vorausbezahlt, aber welche Sicherheit hatte er denn, daß er in acht Tagen nach Hause fahren konnte? Vielleicht schon früher, o ja, vielleicht schon übermorgen . . . das hing eben davon ab. Es hing davon ab, erstens, daß er kam, Waremme-Warschauer, daß er gewissermaßen zu Kreuze kroch, zweitens, daß man ihn dahin brachte . . . daß man ihm die Brust spalten und das Hirn aufdecken konnte. Davon hing es ab. Sicherheit gab es natürlich keine. Wenn er dann dastand und noch zuwarten sollte, in der ungeheuern Stadt ungeheuer fremd, was beginnen mit sechsundvierzig Mark? Und jetzt, das verteufelte Fieber im Leib, eine Million metallner Plättchen flimmerte vor seinen Augen. Blitzschnell jagten die Überlegungen durch sein Hirn, während Melitta ihn unruhig spähend musterte, auf dem Schemel hockend, die Arme um die Knie geschlungen, ohne sich darum zu kümmern, daß sich der kurze Rock bis auf die Oberschenkel hinaufgeschoben hatte. Nein sagen, wenn man in solcher Sache angefordert wurde: unmöglich. Die Tasche zuhalten, wenn man drin hatte, was einen andern retten konnte: unmöglich. Schwindeln und sich ausreden: ich hab's nicht, oder ich brauch's selber: nicht zu machen. Da hätte Etzel Andergast gleich bei seiner Rie bleiben können und sich gefüllte Pfannekuchen backen lassen, wozu die ganze Veranstaltung . . . »Schön«, sagte er, »ich geb Ihnen das Geld«, fischte das bereits ziemlich abgegriffene Portefeuille aus dem Westenfutter heraus, in das er selbst eine Tasche geschnitten und notdürftig ausgenäht hatte, und reichte Melitta zwei Zwanzigmarkscheine. Sie hatte offenbar nicht geglaubt, daß er es tun würde, sie hatte sich gedacht, der Versuch schadet nichts, sie sah daher einigermaßen verdutzt aus, und seine Person und seine Umstände erschienen ihr noch geheimnisvoller, um nicht zu sagen verdächtiger, als sie es bisher gewesen. »Sie sind wahrhaftig 'n guter Junge«, bemerkte sie anerkennend, und mit dem Rest von Argwohn: »Ist's auch koscher mit dem Geld?« – »Koscher? nein, 's ist christliches Geld«, antwortete er, »aber aus einer verdammt anständigen Gegend.« – »Na, fein, danke sehr«, sagte Melitta, schob die Scheine in ihren Busen und stand auf. »Morgen früh geh ich zu J. Silberbaum und zeig Ihnen die Quittung.« – »Nicht nötig.« – »Doch. Könnte ja Hochstapelei von mir sein.« – »Dazu hätten Sie sich jemand anders geklaut. Hoff ich wenigstens.« – »Wollen Sie mir nicht sagen, Mohl, was Sie eigentlich für'n Geschäft betreiben?« – »Ich such meinen Onkel, der mit den Mündelgeldern durchgegangen ist.« – »Hm. Kein einträgliches Geschäft, kommt mir vor.« – »Mir auch. Pleite ist bereits in Sicht.« (Wie man sieht, hatte er sich, erleuchteter Zwerg, recht geschickt der Ausdrucksweise des Milieus angepaßt.) – »Haben Sie deshalb nach einem gefragt, der kommen soll?« erkundigte sich Melitta schlau. »Ist's vielleicht der Onkel selber? Meinen Sie, er wird von selber kommen und die p. t. Moneten auf den Tisch des Hauses legen?« Sie lachte blechern. – »Nein, der kommen soll, ist ein anderer. Mit dem hab ich auch ein Hühnchen zu pflücken. Der ist auch nicht von schlechten Eltern. Sie haben ihn übrigens neulich bei der Jazzmusik mit mir gesehen.« – »Och, der

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