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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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beklagen, ich sage, da wir uns amicalement über gewisse Mißverständnisse aussprechen, womit war denn Ihr Ausspruch motiviert? Mit einer rührseligen Kleinbürger-Erzählung, deren ungeschickte Mache einem abgebrühten, alten Burschen wie mir doch nur Mitleid einflößen konnte, wenn er sich schon nicht ärgerte. Da erröten Sie, Mohl, ist ganz in Ordnung, erröten Sie mir, das steht Ihnen ausgezeichnet, ist Ihren Jahren angemessen, aber wenn man einen Georg Warschauer hinters Licht führen will, muß man sich bedeutend mehr Mühe geben, Mohl, da muß einem was einfallen, da darf man ihm nicht mit dem ersten besten Pofel kommen, den man sich zwischen Dunkel und Siehst-mich-Nicht ausdenkt. Verstanden?« – »Sie haben recht«, flüsterte Etzel mit gesenkten Augen, »aber was hatt ich tun sollen?« – »Was Sie hätten tun sollen? Dasselbe, was ich jetzt von Ihnen erwarte, daß Sie tun. Einer Sorte Menschen ist man unter allen Umständen die Wahrheit schuldig, nämlich der, von der man sie haben will. Sehen Sie das ein?« – »Das seh ich ein.« – »Na also. Gescheiter Junge.«
    Etzel setzte mehrmals zum Sprechen an, während ihn Warschauer mit maskenhaft unbeweglichem Gesicht beobachtete. Das mechanische Klavier meckerte einen american Blue. »Ich konnt es nicht aushalten, Professor«, stieß er endlich leise hervor, gepreßt, nach Atem ringend. »Ich hab das Begnadigungsgesuch gelesen, das der alte Maurizius verfaßt hat. Ich hab mir dann alles von ihm selber erzählen lassen, bin einfach zu ihm gegangen. Er hat mir die Berichte gegeben, die Zeitungsausschnitte. Aber das war nicht mal nötig. Er hat mich über vieles einzelne aufgeklärt, aber in mir stand vom ersten Augenblick fest: Das Urteil ist falsch, das Urteil ist ein Justizmord. Das stand für mich so fest wie irgendwas, wie die Zehn Gebote oder daß der Martin Luther kein Schwindler war. Der Alte, an dem lag mir nichts, der ließ mich eigentlich kalt, eigentlich haßt ich ihn sogar mit seinem Begnadigungsgesuch. Was heißt denn das, Begnadigung? Um Begnadigung winseln, mit Begnadigung sich zufrieden geben, wo er doch selber von der Unschuld seines Sohnes überzeugt war? Ich wollt es ihm nicht sagen, was hätt es auch nützen sollen, aber in meinen Augen war er bloß ein dummer, alter Trottel, seine Beteuerungen hätten mir nicht den geringsten Eindruck gemacht, wenn ich nicht selber bis ins Herz davon durchdrungen gewesen wäre: der Mensch ist unschuldig. Und wenn Sie mich fragen, wie ich zu der Sicherheit gelangt bin, so kann ich Ihnen nur antworten: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es so ist und daß mich sämtliche Gerichtshöfe der Welt nicht davon abbringen können. Vielleicht begreifen Sie's besser, wenn ich Ihnen sage, daß ich in einem Haus aufgewachsen bin, wo ein Urteil ist, was in der Kirche das Sakrament. In der Finsternis hat man manchmal Erscheinungen, nicht wahr? Ein Mensch kann unter bestimmten Verhältnissen dazu kommen, daß ihn ein Vorgang genau so inspiriert wie ein Gedanke . . . drück ich mich klar genug aus? das ist dann stärker als alle Überlegung und alles Wissen. Als die Inspiration bei mir geschehen war, da war kein Bleiben mehr für mich, da hieß es: dem Menschen muß Gerechtigkeit widerfahren oder ich geh zugrund. Verstehen Sie jetzt, Professor? Da haben Sie die Wahrheit.«
    Er hatte zuletzt sehr langsam gesprochen und die gefalteten Hände über die Decke gehoben. Die Stirn, auf die ein paar feuchte Haare schräg hereinfielen, glich einem geschliffenen Stein. Sonderbarerweise war sein Mund zu einem halb trotzigen, halb kränklichen Lächeln verzogen. Das Gesicht hatte plötzlich den Bubenausdruck nicht mehr, während einiger Minuten lag sogar etwas leidend Reifes in den Zügen, der Blick war in stählerner Spannung auf die zwei schwarzen Brillengläser gerichtet, hinter denen sich scheinbar nichts rührte und nichts vorging. »Dachte mir was Ähnliches«, murmelte Warschauer, »das war die Richtung, in der ich kombinierte. Saul zog aus, um die Eselinnen zu suchen, und fand ein Königreich. Mohl zog aus, um Gerechtigkeit zu suchen, er wird froh sein müssen, wenn er die Eselinnen findet. Funkeln Sie mich nicht so verächtlich an, teurer Mohl, das ist kein Zynismus, sondern eine Erfahrung. Ich darf Sie doch noch Mohl nennen, obschon ich nach Ihren Enthüllungen annehmen muß, daß das nur ein Nom de guerre ist. Schön, lassen wir's dabei. Ich habe mich an den Namen gewöhnt wie an ein Stimulans und bin nicht

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