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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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brennt, bei schönem Wetter. Das bißchen Nebel hätte keinen gehindert, so 'nen Riesenkerl wie einen Bock daherspringen zu sehen. Haben Sie schon mal eine solche Kollektion von Widersprüchen beieinander gesehen? Na, und der Herr Untersuchungsrichter! Den hat kein Zweifel geplagt, Gott bewahre. Unentwegt aufs Ziel los. Das Ziel, das kannte er schon, den Weg mußte er sich erst schaffen. Ging wie geschmiert. Motive wie Sand im Meer. Indizien zum Schweinefüttern. Alles stimmt herrlich, das Gewebsel hat nicht das winzigste Loch. Unbedeutender Umstand, daß der angebliche Mörder das Verbrechen in Abrede stellt. Es braucht sie gewiß nicht zu genieren, die sicheren Leute. Aber vielleicht . . . ich meine . . . ich formuliere: mit dieser Engelsruhe steht man doch nicht da vom ersten bis zum letzten Moment, o Publikum und hohes Gericht, mit dieser Engelsbeharrlichkeit wiederholt man doch nicht zweitausendmal: ich hab es nicht getan! Dem Richter, dem Anwalt, dem Vater, den Freunden, den Geschworenen und zuletzt und aus dem Zuchthaus wieder und wieder: ich hab es nicht getan! Er hätte, das geb ich zu, nicht fliehen sollen. Kolossale Dummheit. Davonlaufen wie ein Schulbub. Zwei Tage drüben in Frankfurt sich bei einem Mädel verstecken, nach Kassel fahren, nach Hamburg fahren, den Schnurrbart rasieren lassen, freilich schon vorher, das mit dem Schnurrbart war freilich schon vorher, unter falschem Namen in Gasthöfen logieren. Hat den Kopf verloren gehabt, der Junge, konnte nicht mehr Weiß von Schwarz unterscheiden. Als sie ihn da oben verhafteten und es hieß: unter dringendem Verdacht des Mordes, da stand er da wie vom Donner geschlagen. Da fragt er: Wie, meine Herren, ich? Beachten Sie, junger Herr: ich? ruft er aus. Ich? Wie einer, der vom Schlaf aufwacht. Weiß nichts vom Steckbrief und wovon die Zeitungen voll sind. Das haben sie ihm dann als abgefeimte Komödianterei angekreidet, gerade das. Hat einer ein reines Gewissen, so stellt er sich selber und strolcht nicht eine Woche lang in der Welt herum, nicht wahr? Schema F, klar wie Tinte. Lauter Herrgötter. Das Gras hören sie wachsen . . .«
    Er hielt keuchend inne. Ein gräßlicher Hustenanfall hinderte ihn am Weitersprechen. Etzel stand auf, schraubte an der rauchenden Lampe, und als das wüste Hustengekrächze verebbte, sagte er, zu seinen Fingern hinunter: »Da müßten doch zwei Revolver dagewesen sein . . .«
    Maurizius starrte ihn offenen Mundes an. »Wieso denn?« stotterte er. Verwundert über die Verwunderung erklärte Etzel: »Die Frau ist in den Rücken geschossen worden. Sie ist auf ihn zugegangen, er ist auf sie zugegangen, heißt es. Er hat einen Revolver in der Hand gehabt. Wer hat also den andern Revolver gehabt?«
    Der Alte schloß langsam den Mund wie ein Nußknacker und fing an, seine Lippen zu schlucken. Nach einer Weile murmelte er mit einem düstern Schmunzeln: »Sehr richtig. Aber davon war nicht die Rede. Offiziell ist es nie angenommen worden. Die Annahme war, daß sie erst auf ihn zu-, dann von ihm weggelaufen ist. Eine Theorie, nicht wahr? Sie wissen doch, was eine Theorie ist? Wenn jemand eine Theorie hat, bringen ihn keine zehn Gäule mehr davon ab. Was schiert ihn da die Wirklichkeit! Die Theorie hieß: als sie ihn mit dem Revolver in der Hand erblickte, ist sie voll Schrecken umgekehrt und gegen das Haus zugelaufen. Ganz plausibel. Zwei Revolver? Nein. Die Geschichte ist sogar die, daß nicht einmal der eine gefunden worden ist. Waremme will ihm, nachdem der Schuß abgefeuert war, die Waffe aus der Hand gewunden und fortgeworfen haben. Ins Gebüsch geschleudert. Drei Kriminalbeamte haben zwei Tage lang danach gesucht, den Garten, die Umgebung abgesucht. Nichts. Der Revolver blieb verschwunden. Ist nie mehr zum Vorschein gekommen. Was sagen Sie dazu; Unerklärlich, was! Fein, wie unerklärlich das alles ist.« Er kicherte einfältig.
    Etzel schaute nachdenklich vor sich hin. Plötzlich hob er den Kopf und fragte: »Wer könnte denn . . . wer war also nach Ihrer Meinung . . .
    »Pst!« unterbrach ihn der Alte mit scharfem Zischlaut. Er trat dicht vor den Knaben hin, schielte teuflisch und sagte mit der mürrischen Strenge eines Dorfschulmeisters: »Nicht so naseweis. Kein Ton. Wo kämen wir hin, Donnerwetter. Hat doch er selber, verstehen Sie, mein Leonhart selber, auf die Frage nie geantwortet. Nie. Keinen Ton. Kein Sterbenswort. Hat es verweigert. Sie verstehen, junger Herr. Was könnt es also uns beiden nützen, danach zu fragen? Was

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