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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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gegen die Geschichte einflößte. Er mußte immer lächeln, wenn alte Leute aus ihrer Vergangenheit etwas zum besten gaben. Es war so ergötzlich, so leicht zu sehen, wie sie »dichteten« und wieviel mehr Vergnügen ihnen das halb Gelogene bereitete als das ganz Wahre, von dem sie vermutlich gar nichts mehr wissen wollten. Der einzige Mensch, der ihm bei seinen Nachforschungen hätte behilflich sein, ihn über die Anfangszweifel hätte erheben können, war sein Vater. Aber der bloße Gedanke war absurd, ihn, ihn darum zu bitten. Niemals würde Trismegistos die Berechtigung auch nur einer Frage anerkennen, die veilchenblauen Augen würden verwundert gefrieren unter dem Eindruck ungehöriger Dreistigkeit. So blieb nichts übrig, als in der Stille zu sammeln und das Gesammelte zu sieben und zu vergleichen. Die Rie hatte einen Bekannten, der ein- oder zweimal wöchentlich zu ihr kam, einen Kanzleirat Distelmayer, der lange Jahre bei Gericht gewesen und seit dem Krieg pensioniert war, ein Mann, dem es schlecht ging, weil er wie alle auf Ruhegehälter gesetzten Beamten kaum das tägliche Brot hatte. Die Rie hob immer das Mittagessen für ihn auf, wenn er sich angesagt hatte; dann begann jedesmal das nämliche Spiel: er lehnte die Einladung mit den entschiedensten Ausdrücken ab, behauptete, soeben erst eine ausgiebige Mahlzeit zu sich genommen zu haben, gab dann, scheinbar ermüdet durch das Zureden, nach und verzehrte schließlich, was ihm aufgetragen wurde, Suppe, Fleisch, Gemüse, Torte, mit Stumpf und Stiel und jammervoll ersichtlicher Genugtuung. Bisweilen trat Herr von Andergast in den Flur, wenn jener gerade kam oder ging. Da verbeugte sich der Kanzleirat mit einer Devotion, die dem zuschauenden Etzel widrig war, indes Herr von Andergast sich leutselig bezeigte, dem Kanzleirat mit zwei Fingern auf die Schulter klopfte und fragte, wie man unter Kollegen fragt: »Nun, wie geht's, wie steht's, mein guter Distelmayer?« Obwohl Etzel wenig Hoffnung hegte, von dem etwas geschwätzigen Männlein Dienliches zu erfahren, machte er den Versuch; er spann ihn in seine Treuherzigkeiten ein, deren Wirkung auf die Erwachsenen er erprobt hatte, er ließ sich herab zu ihm, und das war eine andere Herablassung als die des Herrn von Andergast, schon daraufhin angesehen, daß ein sehr junger Mensch von geistigem Stolz sich herablassen muß, wenn er es mit so verbrauchten und gedrückten Personen von der Art des Kanzleirats zu tun hat; er stellte das Gespräch zuerst auf Scherz ein, erlaubte dem Alten, um ihn zutraulich zu machen, kleine Neckereien, kleine, platte Anzüglichkeiten, wie sie bejahrte Leute gegen Knaben gern äußern, gab der Unterhaltung dann ohne Mühe die Richtung ins Ernsthafte, ließ von ungefähr den Namen Maurizius fallen, sah, daß der Kanzleirat aufmerksam wurde, erzählte, daß ihm jemand viel von der Sache erzählt habe, daß er sich dafür interessiere, daß es zwischen ihm und einem Freund darüber zu Diskussionen gekommen sei. Der betreffende Freund sei nämlich ein entfernter Verwandter der Familie Jank, oder nein, wie habe sie nur geheißen, der Name sei ihm entfallen, vielleicht erinnere sich der Herr Kanzleirat, Familie der Frau, der Schwester von Maurizius' Frau . . . Der Name war ihm keineswegs entfallen, er wollte nur dem Kanzleirat auf den Zahn fühlen, und richtig nannte dieser gleich den Namen, es zeigte sich, daß er über Erwarten gut Bescheid wußte, da er sich seinerzeit angelegentlich mit dem Prozeß befaßt hatte. Etzel wollte nur von Anna Jahn hören, und zwar von ihrem Leben nach dem Abschluß des kriminellen Dramas; er hatte dabei etwas ganz Bestimmtes im Auge. In der Tat war Distelmayer imstande, seine Wißbegier zu befriedigen, es war eine Liebhaberei von ihm, sich mit dem Privatleben der Leute zu beschäftigen, die einmal im Zentrum des öffentlichen Interesses gestanden und einen »Fall« gebildet hatten; viele gerichtliche Funktionäre haben diese Neigung, die sich aus dem Hang zur Schnüffelei und dem Reiz zusammensetzt, den ungelöste Rätsel ausüben. Distelmayer hatte den Prozeß Maurizius sogar schriftstellerisch verwertet, halb war er befremdet, halb schmeichelte ihm die lebhafte Anteilnahme des jungen Barons (er sprach ihn stets mit Nachdruck als »Herr Baron« an, was Etzel abgeschmackt erschien, ohne daß er es wagte, den würdigen Mann durch Abwehr zu verstimmen). Nicht weniger geschmeichelt war die Rie, sie saß die ganze Zeit dabei und hatte nicht genug Augen und Ohren

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