Der Fall Zamar (German Edition)
gelangen. Unauffällig wagte sie sich an einige Soldaten, ob sie die Kameraden von früher kannten, ob sie noch bei ihrer Einheit sind, was diese jetzt machen. Sie fand nur wenige, die diese Marines aus der besagten Zeit kannten, und noch weniger, die unbekümmert darüber sprachen. In den USA angekommen, musste sie nur noch einige Straßennamen und Nummern herausbekommen.
In den zurückliegenden Jahren konnte sie an nichts anderes denken als an den Tod der Schlächter von Haditha. Von dem Tag an, als ihr Onkel sie zu sich nahm, war sie fest entschlossen, alles bis ins kleinste Detail vorzubereiten. Es sollte bei allen wie ein Unfall wirken. Sie möchte keine Aufmerksamkeit, wie es oft bei religiösen Attentätern ist, sondern ihre ganz persönliche Gerechtigkeit.
Am heutigen Samstag war keine Vorlesung und Madea wollte ins Fitnesscenter, wo sie seit einigen Wochen trainierte. Sie war ohnehin sehr sportlich, konnte es aber in ihrem Heimatland nie richtig zeigen. Es ging ihr aber nicht nur darum, Spaß am Sport zu haben, sondern auch darum, topfit reagieren zu können, wenn sie sich wehren oder fliehen müsste. Nach dem Lauf- und Krafttraining nahm sie Unterricht in Selbstverteidigung.
Seit Kurzem lernte sie allerdings nicht nur, wie man einem Gegner entkommt. Sie erfuhr von ihrem Fitnesstrainer Mike auch, wie sie einfache Gegenstände als Waffe benutzt oder mit einem Messer zielsicher trifft.
Mike Morgan besaß dieses übersichtliche Fitnesscenter, welches sich nur ein paar Busstationen entfernt vom Campus befand. Zwischen Madea und ihm hat sich eine unkomplizierte Freundschaft entwickelt, die darauf beruhte, dass sie immer öfter lange und interessante Gespräche führen. Mike war 46, und er hatte ein diskretes Gespür für komplizierte Geschichten. In vielen Unterhaltungen hat er Madeas Ängste entdeckt, die sich gegenüber irakfeindlichen Amerikanern entwickelt haben. Sie erzählt über ihre toten Eltern und Geschwister in leicht geänderter Form. Bei einem Luftangriff war es passiert. Bis jetzt sprach sie nie über den wirklichen Tathergang. Und so sollte es auch bleiben.
Der ehemalige Soldat mochte Madeas liebenswerte Ausstrahlung, er war beeindruckt von ihrem unbändigen Willen und ihrer ehrgeizigen Lernsucht. Deshalb konnte er ihr auch die Bitte nicht abschlagen, ein Fahrtraining mit dem Auto zu machen. Madea hatte ihren Führerschein gleich nach Ankunft in den USA gemacht, ist aber bisher wenig gefahren. Sie wusste, dass sie eine sichere Fahrweise nur mit Übungsstunden bekommen konnte. Die ersten Male durfte Madea Mikes Jeep fahren, bis sie letzte Woche mit ihrem eigenen Auto ankam. Die unauffällige Familienkutsche war aber alles andere als eine lahme Kiste, denn Madea hatte darauf geachtet, dass das Fahrzeug einen starken Motor besaß. Immerhin musste sie sich in schwierigen Situationen aus dem Staub machen können. Allerdings würde sie sich ein Fahrzeug leihen für die Missionen, wo sie unerkannt bleiben wollte und musste.
Ihre leere Müslischale spülte Madea gleich mit Wasser ab. Um ins Fitnessstudio zu gehen, war es noch etwas früh, deshalb nahm sie jetzt noch ein Buch aus ihrem Rucksack und setzte sich an ihren Laptop. Sie musste noch eine Aufgabe abarbeiten. Immer wieder musste sie erst einmal schwierige medizinische Begriffe in ihre Heimatsprache übersetzen, um den Text besser verstehen zu können. So gegen zehn Uhr packte sie Sportschuhe, T-Shirt und Hose in ihren Rucksack. Madea wollte mit dem Auto fahren, vielleicht hatte Mike noch mal ein wenig Zeit für sie. Aber eigentlich fühlte sie sich schon ziemlich sicher, seit sie von Mike einige Tipps rund ums Auto bekam. Besser gesagt: Madea wurde beim Fahren immer entspannter und risikofreudiger.
Zweimal drehte sie den Schlüssel, um die Tür zu verschließen. Seit Madea die Reise in die USA angetreten hatte, war sie auf äußerste Sicherheit und Vorsicht bedacht, wollte keine Aufmerksamkeit erregen und sich ruhig und unauffällig verhalten. Heute weiß sie, dass sie damals, gleich nach dem Überfall und den Gerichtsverhandlungen, einen Fehler gemacht hatte. Madea und die anderen betroffenen Familien drängten in ihrer wütenden Trauer die Fragen der Vernunft völlig in den Hintergrund. Sie schrien heraus, dass sie sich rächen werden. Alle Familien waren wieder in den Alltag zurückgekehrt, die Lage hatte sich beruhigt und alles wurde als Gerede der Angehörigen, die psychisch ihre Seele reinigen müssten, abgetan. Die Kampftruppen waren
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