Der Fall Zamar (German Edition)
unterhalten, nur so, um ihre eigenen Kenntnisse auszuprobieren. Sie zügelte ihren Hass und ging auf die Männer zu. Dabei erkannte sie, dass es durchaus auch nette Amerikaner gab, sie konnte nicht alle für ihr Schicksal verantwortlich machen.
Nach etwa einem Jahr kamen nochmals Ermittler des NCIS, die ebenfalls nur zweifelhafte Fragen stellten.
„Wann wird die Gerichtsverhandlung stattfinden?“, fragte Madea damals sehr selbstbewusst die Beamten. „An welchem der Tage wird man mich als Zeugin vernehmen? Die Reise nach Amerika muss ich schließlich gut vorbereiten.“ Madea konnte sich noch genau an den irritierten Gesichtsausdruck der beiden Herren erinnern. Hilfesuchend schauten sie in ihre Unterlagen und erklärten ihr den Stand der Dinge: Es war nicht vorgesehen, dass die Zeugen vor Gericht sprechen.
„Was, wie bitte? Aber der Richter kann doch nicht alles nur vom Papier ablesen!“ Madea war außer sich vor Wut. Sie wollte doch sehen, wie die Mörder ihrer Familie verurteilt werden. Damals erkannte sie noch nicht die verworrenen Fäden der Militärjustiz der USA, dafür war sie einfach zu jung und unwissend. Die Ermittler verabschiedeten sich damit, dass sie die Lage prüfen werden und es sicher nur ein Missverständnis sei, sie werde beizeiten eine entsprechende Einladung erhalten. Gutgläubig wartete sie darauf.
Madea stellte die Tasse ab. Eine kleine Lampe auf dem Tisch erhellte den Raum. Sie kniete sich vor den auf Füßen stehenden Schrank nieder und griff darunter. Weit hinten fand sie, was sie suchte: eine Aktenfolie, in der sie alte Zeitungsausschnitte aufbewahrte. Die auf dem Tisch ausgebreiteten Artikel schaute Madea sich noch einmal an.
Von dem Tag an, als sie täglich ungeduldig auf Post vom Gericht wartete, sammelte sie die Beiträge aus den Zeitungen. Da in der Klinik, in der ihr Onkel arbeitete, viele ausländische Bürger behandelt wurden, verkaufte man dort auch amerikanische Zeitungen. Rasim, der von Natur aus ein liebenswerter Mensch war, hatte ein gutes Verhältnis zu dem Kioskbesitzer, der zwanzig Meter entfernt vom Krankenhauseingang seinen Laden betrieb, wo er jeden Tag die Zeitung Al-Sabah kaufte. Der Verkäufer schaute nun jeden Tag, ob interessante Berichte rund um die Geschehnisse von Haditha in den Blättern zu finden waren. Sobald etwas darüber zu lesen war, kaufte ihr Onkel die Zeitungen. Eines Tages kam er recht niedergeschlagen nach Hause und legte, ohne ein Wort zu sagen, die Zeitschrift vor Madea auf den Tisch. Sie konnte es kaum glauben, was dort stand. Die Verhandlungen liefen schon mehrere Wochen vor dem amerikanischen Militärgericht. Interessant war zu lesen, wie die Reporter recht kritisch den Umstand hinterfragten, warum die unmittelbaren Zeugen im Gerichtssaal nicht anwesend sind. Viel verblüffender fanden Madea und ihr Onkel so auch die Antwort der Verteidiger, dass es den Zeugen nicht zumutbar sei, im Gerichtssaal zu erscheinen. Solch eine beschwerliche Reise sei zu gefährlich, dieses Unternehmen wäre zu aufwendig.
Madea konnte es kaum in Worte fassen: „Wie können die so etwas sagen, jene, die sonst Panzer und Soldaten um den Erdball schicken und Satelliten und Raketen in den Himmel! Da ist es nicht möglich, dass für mich ein Platz im Flugzeug frei ist?“
Außerdem wurde berichtet, dass der untersuchende Richter, selbst ein Marine, anwesend in Wüstenuniform, an der Erklärung festhält: „Die Aussagen der Iraker sind unklar, widersprüchlich und eigennützige Schlussfolgerungen.“ Die renommierten Starverteidiger der angeklagten Marines verstanden es, jeden noch so kleinen Beweis kaputtzureden. Ein Urteil wurde noch nicht gefällt, und so wie aus den Zeilen zu erkennen war, wollte nicht wirklich irgendein Richter aus den Reihen des Militärs ein Urteil fällen. Die US-Marines sind in ihrer Heimat sehr angesehen, da fällt es umso schwerer, ihnen bei einer Verfehlung auf die Füße zu treten. Die einen sagen Kollateralschaden, die anderen meinen, so etwas passiert nun mal im Krieg. Madea konnte ihren Hass kaum bändigen. In einem anderem Bericht hieß es dazu: ‚Die ungewisse, angespannte Ruhe war für die eigentlichen Kämpfer die Hölle. Jeden Tag fuhren sie nur ihre Kontrollrunden durch die Gegend, ansonsten schlugen sie sich die Zeit tot mit Videos, Gameboys, Pornos und auch Drogen. Alle suchten den Kick. Der Mix war so explosiv, dass er irgendwann hochgehen musste.‘
Die Kompensationszahlungen der USA kamen erst, nachdem ein Aufbegehren
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