Der Fall Zamar (German Edition)
der Bürger von Haditha nicht mehr wegzureden war. 2 500 Dollar erhielt Madea für jedes tote Familienmitglied und noch eine geringe Summe für die Schäden am bereits verkauften Haus, denn einen anständigen Preis wollte ihr für dieses Trauerheim damals niemand zahlen. Rasim brachte auch dieses Geld auf die Bank. Für Madea musste das Leben weitergehen. Wenn sie nach der Schule alle Aufgaben erledigt hatte, half sie ihrem Onkel im Krankenhaus. Dort freuten sich alle über Madeas Hilfe, die sie gleichzeitig damit verband, jede Menge zu lernen. Nach und nach reifte in ihr auch die Idee, Ärztin werden zu wollen. Vor allem wollte sie Frauen helfen, denn sie erkannte selbst, wie es immer schwieriger für sie wurde. Allerdings gab es für Madea nach Beendigung der Schule keinen Platz in der Universität, es gab einfach zu wenige Studienplätze. Also arbeitete sie an der Seite ihres Onkels im Krankenhaus, putzte, pflegte und gab Essen aus. Sie lernte dabei, was Pfleger und Ärzte taten. Anhand einer Reihe von Büchern für Medizinstudenten stillte sie ihren Wissensdurst und stellte Rasim unendlich viele Fragen. Irgendwann durfte Madea ihrem Onkel bei einfachen Behandlungen assistieren und sich selbst am Erstellen von Diagnosen versuchen.
Der Tee war jetzt ausgetrunken, die leere Tasse stellte sie auf den kleinen Küchenschrank. Die Zeitungsausschnitte packte sie wieder in die Folie, klebte diese zu und befestigte den gesamten Packen mit Klebeband unter dem Schrank. Nochmal überprüfen: Sie schaut drunter, nichts zu sehen. Man muss schon mit der Hand suchen, ehe man etwas findet. Das Wichtigste jedoch hat Madea in ihrem Gedächtnis gespeichert: die Namen aller am Massaker beteiligten US-Marines. Auch die dazugehörigen Adressen hat sie alle auswendig gelernt, keine Liste könnte sie jemals verraten bei dem, was sie vorhatte. Nicht allein das Töten ihrer Familie war der Auslöser, der den Plan in ihrem Kopf reifen ließ, sondern auch der verlogene Gerichtsprozess.
Wieder und wieder bemühte sie sich um einen Studienplatz im Irak, aber für Mädchen gab es kaum eine Chance. Schon allein der Weg zur Universität barg Gefahren für die Frauen. Fehlte das Kopftuch, wurden sie angefeindet. Obwohl die Frauen nun schon einige Jahrzehnte die Freiheit genießen durften, sich ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit zu bewegen, gab es durch selbsternannte Glaubens- und Gesetzeswächter der Milizen den Zwang, diese Regel zu ändern. Selbst in Basra an der Universität gab es keine Möglichkeit zu studieren. Und andere Einrichtungen, in denen ein Medizinstudium absolviert werden konnte, waren im Land nicht vorhanden. Mit Sorge sah Rasim Zamar den Bemühungen von Madea zu. Irgendwann kam Madea mit dem Vorschlag zu ihrem Onkel, dass sie sich jetzt um einen Studienplatz in den USA bemühte. Eigentlich wollte sie erst im Irak studieren und dann durch einen Praktikumsplatz in die USA kommen, um näher an die Mörder ihrer Familie heranzukommen. Ihr Onkel war im ersten Moment überrascht. Da er aber ein weltoffener und weitsichtiger Mann war, stimmte er ihr zu und unterstützte sie, wo er nur konnte. Normalerweise bedarf es etlicher Anträge für Aufenthaltsgenehmigungen, finanzieller Unterstützung und ähnlicher Bürokratien, aber ihr wurden vom Staat Georgia sämtliche Zusagen ohne große Rückfragen und Hindernisse gegeben. Die Kosten für Studienplatz und Unterkunft werden vom Staat übernommen.
Etwas verwundert darüber meinte Rasim: „Die wissen sicher auch, was sie wiedergutzumachen haben.“ Ein Brief vom Verteidigungsminister ließ die Sache dann etwas klarer erscheinen. Es war eine Entschuldigung dafür, was man ihrer Familie angetan hat, und welches Leid sie dadurch ertragen musste. Sie sei zum Studium in Atlanta herzlich willkommen, und der Staat werde alle Kosten als Entschädigung übernehmen.
Es wurde langsam hell, die Sonne bahnte sich einen Weg durch die letzten Wolkenfelder der Nacht. Warm und sonnig sollte der Tag werden. Sie stand auf und machte sich eine Schale mit Müsli zurecht.
Trotz dieser Annehmlichkeiten vom Staat wollte Madea ihren Plan nach Rache reifen lassen. Sie ist erst seit wenigen Wochen hier in Atlanta und möchte sich Stück für Stück erkundigen und Details ausspähen. Sie musste wissen, wo und wie die ehemaligen Marines, die am Überfall beteiligt waren, leben. Vom Irak aus recherchierte Madea damals schon, gab sich in verschiedenen Situationen als Journalistin aus, um an Informationen zu
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