Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
herrschte.
Aber Alep fand bei seinem Großvater, was er bei seinem Vater niemals gefunden hatte: Zeit! Für Alep war Opa Dieron Elders eine schillernde, faszinierende Person. Er liebte die wilden Geschichten, die der alte Mann wie kein anderer erzählen konnte. Mit jeder neuen Geschichte eröffnete sich für Alep eine Welt, die ihn freundlich gefangen nahm und nicht mehr losließ, bis Großvater sie beendet hatte.
So wurden seine Großeltern zu den wichtigsten Personen in seinem Leben. Die Aufteilung der Kinder zwischen Eltern und Großeltern trieb aber auch einen unüberwindbaren Graben zwischen ihn und seinen Bruder Bak. Er liebte ihn, aber ihr Verhältnis zueinander blieb unbestimmt, obwohl beide sich ein Zimmer teilten und bei Tisch nebeneinander saßen.
Großvater Elders hielt sich von fast allen Arbeiten an Haus und Hof fern. Er wusste das Anwesen bei seiner Frau und seinem Sohn in besseren Händen. Er kannte seine Grenzen und fand sich darin zurecht. Er hatte vor Jahren entschieden, dass er für die harte Feldarbeit zu alt geworden sei. Seither verbrachte er seine Zeit mit der Jagd, mit Fischfang und widmete sich ausgiebig seinen Enkelkindern. Allen voran Alep. Er wäre nie so weit gegangen, ihm eine bevorzugte Stellung zu gewähren. Aber er konnte das tiefe Verhältnis, das sich in den ersten Jahren zwischen ihm und Alep aufgebaut hatte, nicht leugnen.
„Nun“, forderte Oma Elders ihren Enkel auf. Alle sahen Alep neugierig an, mit Ausnahme seines Vaters.
„Ja, also, es klingt vielleicht seltsam und unglaubwürdig, aber was Rina heute Nacht geträumt hat, ist wirklich passiert“, begann Alep zögernd.
„Ach, ja?“, fragte Bak streitlustig.
Alep ignorierte ihn und fuhr ungerührt fort: „Ja, wenn auch in etwas anderer Form. Also, heute Nacht, oder besser heute Morgen wurde ich wie immer von Vaters Hahn geweckt.“
„Ich habe nichts gehört“, sagte Bak und schob sich einen Kanten Brot mit Käse in den Mund. Er kaute mit vollen Backen.
„Richtig“, stimmte Vater Elders seinem ältesten Sohn zu. „Ich habe auch nichts gehört.“
„Vielleicht ist er krank“, mutmaßte Rina.
„Möglich. Oder er hat sich endlich an seine Umgebung gewöhnt. Aber andererseits hat er heute Morgen auch nicht gekräht. Vielleicht hat Rina recht. Ich werde gleich nach dem Frühstück rübergehen und ihn mir ansehen.“
„Darf ich mitkommen?“, fragte Rina.
„Natürlich, meine Kleine. Gleich nach dem Frühstück.“
„Ich glaube, unser Alep hat sich schon so an den nächtlichen Hahnenschrei gewöhnt, inzwischen wacht er von allein auf“, bemerkte Bak mit einem Grinsen.
„Falsch!“, entgegnete Alep. „Niemand außer mir ist aufgewacht und da war etwas am Fenster. Ich wollte Bak aufwecken, aber obwohl ich ihn schüttelte, schlief er weiter. Dann habe ich das Fenster geöffnet und sah ... “
„Was, was“, rief Rina.
„Ja, was?“, fragte Bak, „ist die alte Eiche mal wieder auf einen Spaziergang aufgebrochen und wollte dich mitnehmen?“
„Ruhe“, sagte Großmutter, und es wurde still in der Küche.
„Vor meinem Fenster stand ein Ding“, erklärte Alep. „Ein Wesen, so ungewöhnlich, dass ich es kaum beschreiben kann. Es sah so ähnlich aus wie der kleine Mann, den Rina in ihrem Traum gesehen hat.“
Bak wollte etwas sagen, aber ein Blick von Großmutter Elders warnte ihn rechtzeitig. Beleidigt schloss er wieder den Mund.
„Er sagte“, Alep machte eine kurze Pause. „Er sagte, ich wäre durch die Prophezeiung auserwählt, den Untergang der Magie aufzuhalten und so - die Welt zu retten.“
Alle sahen ihn überrascht an. Bak brach als erster das bedrückende Schweigen. Laut lachend erklärte er: „Du hast geträumt! Wie Rina. Die Welt retten! Du? Blödsinn!“
Velde räusperte sich. „Das klingt wirklich wie eine deiner wilden Geschichten, Junge!“
„Der Golem war da. Ich habe ihn gesehen und er hat mir all das gesagt, was ich euch gerade erzählt habe. Und ich kann es beweisen! Vor meinem Fenster sind seine Fußspuren.“
„Zeig sie mir“, forderte Velde Elders und erhob sich. Er knuffte Baks Schulter: „Du kommst mit.“
Die Brüder erhoben sich und folgten ihrem Vater nach draußen.
„Da“, sagte Alep, als sie das Haus umrundet hatten und vor seinem Zimmerfenster standen. Er wies auf die Fußstapfen, die er kurz zuvor dort entdeckt hatte.
Vater Elders und Bak hockten sich hin und betrachteten die Spuren.
„So etwas habe ich noch nie gesehen“, erklärte Bak. „Ich
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