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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Sie!«
    Julia Tichorezkaja und der Patient Naidjonow standen am Fenster und küssten sich innig, als wären sie ganz allein.
     
    Stas hatte kein Zeitgefühl mehr, er wusste nicht, ob gerade Morgen oder Abend war. Er sank immer wieder in unruhigen Schlaf
     und wachte auf, weil er entsetzlich fror. Schüttelfrost und siedende Hitze wechselten einander ab. Er hatte alles Mineralwasser
     aus der Minibar ausgetrunken. Als er wieder einmal aufwachte, stellte er fest, dass kein Schluck mehr da war.
    Die Bettwäsche war feucht. Auf dem Nachttisch stand ein Telefon, darunter lag ein Kärtchen mit der Nummer der Rezeption. Die
     Ziffern verschwammen vor seinen Augen. Er drehte die Wählscheibe, doch als das Amtszeichen ertönte, begriff er, dass er nicht
     die Rezeption anrief, sondern Evelina. Sie nahm schrecklich lange nicht ab, schließlich meldete sie sich mit verschlafener,
     wütender Stimme: »Hallo!«
    »Lina, ich bins«, krächzte er kläglich, »kannst du gleich zu mir kommen?«
    »Weißt du, wie spät es ist?«, fragte sie empört.
    »Nein. Es geht mir sehr schlecht. Ich sehe nichts.«
    »Mein Gott, Gerassimow, mit dir ist es echt nie langweilig. Was ist denn jetzt wieder los?«
    »Ich bin krank. Ich habe hohes Fieber.«
    »Hast du einen Arzt gerufen?«
    »Ich kann nicht, ich bin nicht zu Hause. Ich bin im Hotel, unter falschem Namen.«
    »Na prima« – sie lachte nervös –, »mal ganz was Neues.«
    »Es darf niemand wissen, dass ich in Moskau bin, verstehst du?«
    »Noch nicht«, bekannte sie.
    »Hör zu, das Sprechen fällt mir schwer. Komm her, dann erklär ich dir alles. Das Motel heißt ›Glühwürmchen‹, es istin der Nähe vom Flusshafen. Schreib die Adresse nicht auf, präg sie dir ein. Bring mir was gegen Grippe und Erkältung mit,
     Vitamine, viel Mineralwasser – na, du weißt schon. An der Rezeption sagst du, du willst zu Sidorow in Zimmer sieben.«
    »Mein Gott!«, stöhnte Evelina.
    Stas legte auf und schlief wieder ein.
    Ein hartnäckiges Klopfen an der Tür weckte ihn. Er stand auf, warf sich die Decke um die Schultern und öffnete.
    Im Zimmer herrschte Halbdunkel. Evelina legte eine schwere Tüte auf den Nachttisch, küsste Stas auf die Wange und wich so
     abrupt zurück, dass sie mit dem Hinterkopf gegen die Tür prallte.
    »Stas …« Sie schaltete das Licht an und ließ sich langsam auf den Fußboden sinken. »Klar, ich kann natürlich plötzlich verrückt
     geworden sein, aber Pleschakow … Und deine Eltern … Er ist doch deine Eltern abholen gefahren … Ach, ich verstehe, das haben
     sie absichtlich arrangiert, zu deiner Sicherheit … Ich Idiotin …« Sie schlug die Hände vors Gesicht und wiegte sich stöhnend
     eine Weile vor und zurück.
    »Hör auf, was haben Pleschakow und meine Eltern damit zu tun? Keiner weiß was. Hast du ein Fieberthermometer mitgebracht?«,
     murmelte Stas schwach, legte sich hin und kroch unter die Decke. »Deck mich noch mehr zu, mir ist kalt.«
    Evelina sprang auf, ging zu Stas und riss ihm die Decke vom Kopf.
    »Schluss jetzt! Mir reichts! Hättest du mich nicht wenigstens vorwarnen können? Ich mag es nicht, wenn man mich für dumm verkauft,
     das erlaube ich niemandem, nicht einmal dir, Gerassimow!« Sie griff nach der Tüte und kippte den Inhalt aufs Bett – Plastikflaschen
     fielen mit dumpfem Aufprall zu Boden. »Hier – Wasser, Panadol, Aspirin, einThermometer, und nun machs gut, mein Lieber. Gute Besserung!«
    »Lina, warte!«, stöhnte Stas, doch sie war schon aus dem Zimmer und knallte die Tür zu.
    Er stand auf, schaute in den Flur, wäre vor Schwäche beinahe gestürzt, sah die große, schlanke Gestalt im weißen Kostüm zur
     Treppe laufen, rief nach ihr, und sie kehrte zurück.
     
    Bei der ersten Vernehmung teilte Trazuk mit, er sei ein Fan der Sängerin Angela und wollte ihre Chirurgin bestrafen, weil
     er befürchtete, sie wolle das Gesicht des Stars völlig verändern. Die Pistole habe er am Platz der drei Bahnhöfe für zweihundert
     Dollar gekauft.
    Dann begannen bei Trazuk die Entzugserscheinungen, und er verlangte die sofortige Einberufung einer Pressekonferenz.
    »Ich will eine offizielle Erklärung abgeben! Ich wurde entführt und heimlich nach Pakistan gebracht. Dort befindet sich eine
     geheime unterirdische Militärbasis. Ich wurde ans Bett gebunden, mit Drogen vollgepumpt und Stromschlägen ausgesetzt. Dann
     zwang man mich zum Töten.« Das alles sagte er mit vollkommen mechanischer Stimme; seine Augen hatten einen

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