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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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drückte die eben erst angerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und drehte sich abrupt zu
     Irina, woraufhin ein heftiger Schmerz seinen Hals durchfuhr.
    »Ja, natürlich. Entschuldigen Sie, ich muss los. Meine Mutter ist krank geworden. Ich fahre von Juri gleich zu meinen Eltern.
     Hat mich sehr gefreut, Irina. Alles Gute.«
    »Sagen Sie mir wenigstens, wann und wo das Treffen stattfindet. Es wäre wirklich besser, wenn ich dabei wäre und auf Juri
     aufpasste!«
    »Na schön.« Stas verzog gereizt das Gesicht. »Wenn Sie unbedingt wollen … In zwei Wochen. Den Ort haben wir noch nicht festgelegt.
     Wahrscheinlich mieten wir einen Saal in einem Restaurant. Ich rufe Sie an.«
    »Danke, Pjotr. Ach ja, noch eins: Wenn Sie bei Juri sind, seien Sie bitte so gut und schreiben Sie den Stromzählerstand auf
     und rufen mich an, ja? Ich bitte Sie sehr.« Unverhofft küsste sie ihn auf die Wange und glitt im selben Moment mit einem melodischen
     weichen Lachen aus dem Auto.
    Das Lachen hallte noch lange in Stas nach und kam ihm immer bekannter vor.
     
    Major Loginow konnte nur mit Mühe die Augen öffnen und sprechen. Schwester Katja flößte ihm mit einem Löffel Hühnerbouillon,
     flüssigen Haferbrei und Joghurt ein. Unter den wenigen Menschen, die zu Sergej ins Zimmer kamen, war auch die große schlanke
     Frau, die sein Gesicht untersucht und von der Awanessow gesagt hatte, sie sei HNO-Ärztin. Als sie das erste Mal kam, wollte
     er sie, obwohl er kaum die Lippen auseinanderbrachte, fragen, wer sie sei und was sie hier mache, aber die Frau sagte unter
     ihrem Mundschutz mit ruhiger, tiefer Stimme: »Bitte nicht sprechen. Ich heiße Julia. Ich bin Ärztin. Ich werde Sie untersuchen,
     und dann werden Sie schlafen.«
    Sie stellte das Kopfteil des Bettes so, dass der Patient saß, und nahm ihm behutsam die Binden vom Gesicht. Er spürte fast
     nichts, nur die leichten, sanften Berührungen ihrer kühlen Finger, aber in ihm krampfte sich alles zusammen, und er sah ihr
     trotzig und böse in die Augen. Er hasste sie.
    Als sie erneut erschien, konnte er sie besser betrachten. Sie war schön, kalt, klug und herzlos.
    Ein Mensch, der keine Zweifel kannte. Er konnte nochnicht sprechen und langte nach dem Nachtschränkchen neben seinem Bett. Sie reichte ihm Schreibbrett und Stift.
    »Warum haben Sie das mit mir gemacht?«, schrieb er.
    »Verzeihen Sie. Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten. Bitte nicht sprechen. Ich muss Ihre Nähte versorgen, den Verband
     wechseln«, sagte sie.
    »Das soll Katja machen.«
    »Das kann nur der Arzt, Sie müssen meine Anwesenheit also noch eine Weile ertragen.« Ihre Stimme klang leicht gekränkt, was
     Sergej mit einem schadenfrohen inneren Lachen registrierte. Er wollte sie verletzen – das war sein erstes normales, lebendiges
     Gefühl seit geraumer Zeit.
    Julia nahm den Verband von seinem Gesicht. Sergej schielte zu seinem Nachtschränkchen und entdeckte darauf einen offenen kleinen
     Koffer mit einem unbekannten Gerät.
    »Das ist ein Laser«, erklärte sie ruhig. »Ich werde Ihre Nähte mit Laserstrahlen bearbeiten. So heilen sie wesentlich schneller.
     Schließen Sie bitte die Augen und entspannen Sie sich.«
    Er gehorchte und spürte tatsächlich fast nichts, bis auf seinen eigenen raschen Herzschlag. Julias Hände waren so leicht,
     dass er den seltsamen Wunsch verspürte, sie zu berühren. Er wollte nicht, dass sie ging, und das machte ihn noch wütender.
    Mir haben einfach die Farben und Gerüche des normalen Lebens gefehlt. Im Krieg ist alles scheußlich khakifarben. Nicht einmal
     das Blut ist rot; es vermischt sich sofort mit Dreck und wird braun. Im Krieg stinkt es nach Karbol, schmutzigen Körpern,
     Urin und Kot. Ich selbst habe im Krieg auch gestunken und noch schlimmer in der Gefangenschaft, dachte er, während er gierig
     den leichten französischen Duft der bösen Chirurgin einsog. Ein winziger Flakon von diesem Parfüm kostet mindestens hundertDollar. Klar, sie kriegt ihre hinterhältige Arbeit gut bezahlt. Aber warum bin ich eigentlich so wütend auf sie? Sie ist die
     Einzige hier, die mich nicht anlügt.
    »So, das war alles. Jetzt verbinde ich Sie wieder, und dann können Sie sich ausruhen«, vernahm er ihre tiefe, volle Stimme.
    Sergej grunzte wütend und legte die Finger zusammen, zum Zeichen, dass er einen Stift wolle. Sie nickte, zog einen Kugelschreiber
     aus ihrer Kitteltasche und reichte ihm das Schreibbrett.
    »Ich habe Sie nicht gebeten, mein Äußeres

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