Der falsche Graf
Höflichkeit!
Jennys Geschichte war schnell erzählt. Kurz nach Connys Abreise hatte sie Elmar den Laufpass gegeben weil sie erkannt hatte, dass er ein absoluter Fehlgriff war.
"Er hätte mich in meiner Modelkarriere behindert."
Welcher Modelkarriere?, hätte Conny beinahe gefragt, aber sie schluckte die Worte rechtzeitig hinunter. Bei Jenny nach irgendwelchen Logiken zu forschen war sowieso sinnlos. "Ja, und jetzt bin ich hier, um dir zu sagen, dass du aufhören kannst um Elmar zu trauern", plapperte diese schon weiter. "Ehrlich, sei froh, dass du ihn noch vor der Hochzeit los geworden bist. Du wärest neben ihm an Langeweile gestorben."
"Und was mit dem Baby?", fiel Conny ein.
"Welches Baby?" Jenny sah sie aus großen Augen verständnislos an. Dann kicherte sie belustigt. "Ach, so! Das war ein Irrtum. Die Sache hatte sich einfach ein bisschen verspätet."
Damit war für sie das Thema erledigt. Es wäre ihr nie im Traum eingefallen, sich für etwas zu entschuldigen, schon gar nicht bei ihrer Schwester. Im Gegenteil, sie verstand es perfekt, die Sache so zu drehen, dass Conny ihr noch dankbar sein musste, dafür, dass sie vor den Scherben einer großen Liebe stand.
"Am besten wir reden gar nicht mehr über Elmar", beschloss Jenny großzügig (gegen sich selbst). Sie ließ ihre babyblauen Kinderaugenblicke über die Wiese wandern, die sich bis zum Ufer des Bannwaldsees hinstreckte. Kein Lüftchen bewegte die Wasseroberfläche. Sie war so glatt wie ein Spiegel der den wolkenlosen Himmel reflektierte. "Weißt du was, ich glaube, ich werde mir auch ein paar Tage Urlaub gönnen."
Connys Magen machte einen entsetzten Hüpfer. Genau das hatte sie befürchtet! Das Schloss und die illustren Gäste waren genau Jennys Kragenweite. Wahrscheinlich hoffte sie, hier einen reichen Lover aufzugabeln, der eine Zeitlang ihre kostspieligen Wünsche erfüllte.
"Die Zimmer hier sind nicht gerade billig", machte Conny einen halbherzigen Versuch, ihrer Schwester die Idee auszureden, aber Jenny lachte nur unbekümmert. Papa würde bezahlen oder einer ihrer daheim gebliebenen Freunde. Um Geld hatte Jenny sich noch nie große Sorgen machen müssen. Was sie wollte, das bekam sie und zwar ohne sich groß dafür anzustrengen. Genau das machte Conny so unheimlich neidisch. Wieso legte das Schicksal ihrer Schwester nicht mal eine Bananenschale in den Weg anstatt sich immer auf sie, Cornelia, zu konzentrieren und ihr die dicksten Wacker vor die Füße zu werfen? Es musste ja keine große, verfaulte, matschige Bananenschale sein. Eine frische, kleine, gelbe, feste würde ja schon reichen.
Conny ahnte nicht, dass sich das Schicksal schon auf die Suche nach einer solchen Schale begeben hatte.
14. Kapitel
Marlies Pfister schlug die Augen auf und starrte verwundert in die Dunkelheit ihres Zimmers. Wieso war sie aufgewacht? Was hatte sie geweckt? Ein leichtes Kribbeln breitete sich von ihrem Nacken über die Schultern aus. Noch bevor sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, spürte sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie war nicht alleine. Etwas befand sich mit ihr in diesem Zimmer und lauerte nur darauf, dass sie sich bewegte, um sich dann auf sie zu stürzen.
Langsam bekam der Raum Konturen. Marlies zog die Decke bis zum Kinn, während sie auf den Schatten starrte, der sich geräuschlos durch den Raum bewegte. Eine schwarze Silhouette, die auf sie zuglitt, mit großen, schwarzen Händen die nach ihr griffen und den Schrei erstickten, der sich aus ihrer Kehle befreien wollte. Marlies würgte, zappelte, versuchte, die kalten, glatten Hände wegzustoßen, aber der Schatten war stärker.
"Sei ruhig." Die Stimme war unheimlich tief und rau, ein dumpfes Knurren wie es ein wildes Tier von sich gibt, bevor es seinem Opfer die Kehle durchbeißt. "Sei ruhig oder du bist tot."
Marlies bekam keine Luft mehr. Sie versuchte zu nicken, um dem Einbrecher ihre Kapitulation zu signalisieren, aber er ließ sie immer noch nicht los. In ihrer Panik begann sie erneut, sich verzweifelt gegen den Zugriff zu wehren, doch der schwarze Eindringling war unerbittlich. Mit der Kraft seines ganzen Gewichts drückte er Marlies auf das Bett nieder und hielt sie so gefangen.
In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Ihre Bewegungen wurden fahrig, verloren an Kraft, bis ihr Widerstand ganz erlahmte. Schon begannen ihre Sinne zu schwinden, ein ungeheures Rauschen war in ihren Ohren das zu einem gewaltigen Dröhnen anschwoll.
Und dann war sie frei.
Es geschah
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