Der falsche Mann
aber du wolltest diesen Fall, oder etwa nicht?« Er deutete auf mich. » Und ich wette, was du da oben gesehen hast, hat dich noch mehr angespitzt. Ich meine, der Fall ist echt die Hölle, oder?«
Ich zuckte mit den Achseln. » Du hast es selbst gesagt. Wenn du gehst, wird niemand einspringen können, ohne einen Prozessaufschub zu fordern. Und ich hab im Moment Kapazitäten frei.«
Wir erreichten das Erdgeschoss und die Türen teilten sich. » Das ist großartig, Jason. Danke. Tom ist ein guter Kerl, und er verdient den Besten.«
Er würde sich mit mir zufriedengeben müssen. Mir blieben fünfzig Tage, um alles für First Lieutenant Thomas David Stoller zu tun, was in meiner Macht stand.
5
Richter Bertrand Nash gehört zu den überlebensgroßen Figuren im Justizwesen dieser Stadt und scheint seit Anbeginn der Menschheit auf dem Richterstuhl zu thronen. Angeblich war er einst als Bezirksstaatsanwalt tätig – als ranghöchster lokaler Ankläger –, aber ich bezweifle, dass noch irgendwer lebt, der das persönlich bezeugen kann. Würde man im Lexikon die Definition von » Richter« nachschlagen, würde man sein Bild erwarten: ein großes, wettergegerbtes Gesicht; eine dichte Mähne silbergrauer Haare; er hat sogar eine volltönende Baritonstimme, die sein Alter Lügen straft.
Er ist gebieterisch, stur und unterhaltsam. Niemand darf sich vor seinem Zorn sicher fühlen, der sich in scharfen Repliken oder unterschwelligem Sarkasmus äußert und der stets den Beifall der Zuschauer im Gerichtssaal findet – bei denen es sich zumeist um Anwälte handelt, die darauf trainiert sind, bei der geringsten Andeutung von Humor seitens des Mannes in der Robe sofort in dröhnendes Gelächter auszubrechen.
Sein Gerichtssaal ist für ihn ein Heiligtum. Er gestattet keinerlei Formwidrigkeiten, keinen Verstoß gegen die Etikette von 1890, oder wann auch immer er sich als junger Referendar bei Gericht die ersten Sporen verdient hat. Man darf sich dem Zeugen nicht ohne seine Erlaubnis nähern. Nach einem Einspruch gibt man besser keinen Laut von sich, bevor er nicht selbst darüber befunden hat. Man spricht ihn erst an, wenn man sich erhoben hat, und auch nur dann, wenn er einen dazu auffordert. Man verlangt keinen Verhandlungsaufschub oder zusätzliche Zeit für eine Antragserwiderung, sofern nicht unmittelbare Gefahr für Leib und Leben besteht. Und man darf um keinen Preis zu spät im Gerichtssaal erscheinen.
Vor zwei Jahren hatte sich der Krebs ein Stück von ihm geholt, aber mittlerweile war er wieder vollständig auskuriert, sein Gesicht hatte die gewohnt breiten Züge, und die lockere Haut um Augen und Kiefer füllte sich wieder mit Fleisch. Dieser Kerl würde vermutlich hundert werden, sofern er es nicht bereits war.
An diesem Morgen spähte Richter Nash über seine Brille auf mich herab. » Sie werden zu einem ziemlich späten Zeitpunkt eingewechselt, Mr. Kolarich«, sagte er.
» Ja, Euer Ehren. Wie Mr. Childress bereits dargelegt hat …«
» Ich kann lesen, Mr. Kolarich. Mr. Childress begibt sich also auf fettere Weiden, wie ich sehe?«
» Ja, ich werde Partner in Gerry Salters’ Kanzlei, Herr Richter«, sagte Bryan, der neben mir stand.
» Mr. Salters ist ein guter Anwalt. Ein lausiger Golfer, aber ein guter Anwalt.«
Wie bei einer alten Sitcom brach der Gerichtssaal unisono in Gelächter aus.
Richter Nash blickte hinüber zum Anklageteam, das von einer Frau namens Wendy Kotowski geleitet wurde. » Erhebt der Staat irgendwelche Einwände?«, fragte er.
Ich trat beiseite, damit Wendy sich dem Mikrofon nähern konnte. Richter Nash bestand darauf, dass in seinem Gerichtssaal verfahren wurde wie in einem Bundesgericht, wo die Anwälte in ein an einem Pult befestigtes Mikrofon sprechen müssen.
Wendy sagte: » Zum jetzigen Zeitpunkt würden wir lediglich Einspruch gegen einen Verhandlungsaufschub erheben, Euer Ehren.«
Der Richter blickte zwischen mir und Childress hin und her und dann wieder zu Wendy.
» Ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie Einwände gegen einen Verhandlungsaufschub haben, Ms. Kotowski. Ich habe Sie gefragt, ob Sie Einwände gegen einen Anwaltswechsel haben.«
Wendy hätte es eigentlich besser wissen müssen. Sie verhandelte nicht zum ersten Mal vor diesem Mann.
» Wir haben keine Einwände, vorausgesetzt, der Prozess wird dadurch nicht verzögert«, stellte sie klar.
» Wie steht’s damit, Mr. Kolarich? Werden Sie versuchen, den Prozesstermin zu verschieben?«
» Euer Ehren …«
» Ein
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