Der falsche Mann
Wort genügt, Mr. Kolarich. Wollen Sie den Prozesstermin verschieben? Der Verhandlungsbeginn ist in sechs Wochen angesetzt.«
» Herr Richter, meine Antwort hängt davon ab …«
» Das ist mehr als ein Wort, Herr Anwalt. Ich sagte – nur ein Wort. Sie haben die Wahl zwischen Ja oder Nein. Das sind einfache, elementare Worte unserer Sprache.«
Der Richter blickte über unsere Köpfe hinweg zur Galerie. Wir waren die Ersten, die an diesem Morgen vor Richter Nash verhandelten, was immer ungünstig war. Er war frisch und agierte für sein Publikum.
» Vielleicht«, antwortete ich.
» Vielleicht?« Der Kopf des Richters fuhr herum. Der Gerichtssaal verstummte, wartete auf den Vulkanausbruch.
» Vielleicht«, wiederholte ich.
Die Augen des Richters wurden schmal. » Nun, was halten Sie davon, Herr Anwalt: Dieser Prozess wurde bereits mehrfach verschoben, und ich wünsche keine weitere Verzögerung. Ich gehe davon aus, dass Mr. Childress gut für die Verhandlung präpariert ist, also sind alle Parteien bereit, die Strafsache zum geplanten Termin zu verhandeln. Wenn jedoch Ihre Übernahme einen Aufschub erfordern sollte und man in Betracht zieht, dass Mr. Childress sehr wohl weiter als Hauptverteidiger auftreten kann, muss ich noch einmal sehr gründlich über Ihren Antrag nachdenken. Nun«, sagte er und beugte sich vor, » ändert das etwas an Ihrer Antwort?«
» Nein«, sagte ich.
Der Richter blinzelte. Meine Antwort schmeckte ihm nicht. Das Recht eines Beklagten auf freie Wahl seines Anwalts ist heilig. Es übersteigt gewissermaßen alle anderen Rechte. Und einem Richter droht rasch ein Vorgang, den er am allermeisten fürchtet – eine Urteilsaufhebung durch ein Berufungsgericht –, sofern er einem Angeklagten den gewünschten Anwalt verweigert.
Der Richter hatte versucht, mich einzuschüchtern, aber ich hatte seinen Bluff durchschaut.
Nach einem kurzen Zögern trat ein Funkeln in seine Augen, und einer seiner Mundwinkel zuckte. Richter Nash liebte diese kleinen fintenreichen Gefechte im Gerichtssaal. Er respektierte alle, die zu diesem Spiel gegen ihn antraten.
» Ich möchte den Angeklagten dazu hören«, erklärte der Richter.
Tom Stoller saß in der Verwahrungszelle zu unserer Rechten, starrte in eine Ecke des Gerichtssaals und schien keinerlei Notiz von uns zu nehmen. Ein Wachmann ging hinüber und veranlasste ihn, sich zu erheben. Stoller trug den üblichen kanariengelben Overall der Untersuchungshäftlinge.
» Mr. Stoller, ist Ihnen der Anlass der heutigen Anhörung bewusst – dass Mr. Kolarich anstelle von Mr. Childress Ihr Anwalt werden möchte?«
Tom würdigte den Richter keines Blickes und zeigte seine üblichen Ticks, die herausschnellende Zunge und – obwohl seine Hände in Handschellen steckten – auch die wackelnden Finger. » Okay«, sagte er.
» Haben Sie das verstanden, Sir?« Der Ton des Richters war freundlicher geworden. Er drosch gerne auf uns Anwälte ein, aber Angeklagten wurde grundsätzlich eine sanftere, schonendere Behandlung zuteil. Zudem waren die Berufungsgerichte in diesem Staat große Anhänger des sechsten Zusatzartikels der Verfassung, weswegen kein Richter gerne in den Ruf geriet, jemandem den Anwalt seiner Wahl zu verweigern.
» Ja.«
» Und stimmen Sie dem zu, Mr. Stoller? Wollen Sie Mr. Kolarich als Ihren Anwalt?«
Toms Blick bohrte sich in den Boden. » Okay.«
» Nun, ein ›Okay‹ reicht mir nicht, Mr. Stoller. Schließlich ist es nicht mein Antrag, sondern Ihr Antrag. Wollen Sie wirklich den Anwalt wechseln? Denn Mr. Childress ist ein guter und erfahrener Verteidiger, der Ihren Fall schon einige Zeit betreut. Und seine neue Kanzlei kann sicher noch eine Weile auf ihn verzichten, wenn Sie ihn behalten wollen.«
» Okay«, sagte Tom.
Der Richter lehnte sich entnervt in seinem Stuhl zurück. » Mr. Kolarich ist ebenfalls ein ausgezeichneter Anwalt. Er war schon viele Male in meinem Gerichtssaal als Verteidiger tätig, und ich habe keinerlei Zweifel an seinen Fähigkeiten. Allerdings schaltet er sich sehr spät in diesen Fall ein. Zwar bin ich mir nicht sicher, ob Ihr Fall wirklich so kompliziert ist, trotzdem kommt er spät. Und Sie sollen wissen, dass ich nur wenig geneigt bin, den Prozesstermin zu verschieben. Bevor Sie also Ihre Entscheidung treffen, sollten Sie das bedenken. Also«, sagte er, » haben Sie verstanden, was ich Ihnen sagen will?«
» Ja.«
Ich war mir ziemlich sicher, dass Tom in seinem Kopf gerade eine ganz andere Unterhaltung
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