Der falsche Mörder
mich denn jemand umbringen wollen?«
»Nein, nicht dich, sondern Geirfinnur Einarsson.«
»Aber das bin doch ich.«
»Als Nächstes behauptest du auch noch, noch nie etwas vom Geirfinnsfall gehört zu haben? Oder was?«
»Was für ein Geirfinnsfall?«
»Ich spreche von einem gewissen Geirfinnur Einarsson, der vor ein paar Jahrzehnten spurlos in Keflavík verschwunden
ist …«
» Right « , fällt er mir ins Wort, »ich bin gegangen, ohne Bescheid zu sagen.«
»… und dass einige Leute schon vor langer Zeit schwere Gefängnisstrafen abgesessen haben, weil sie eben jenen Geirfinnur ermordet haben.«
Im Telefon ist es still. Lange.
»Bist du noch dran?«
» Yes , ich bin noch da.«
»Na? Hast du etwa schon genug?«
Ich höre, wie der Kerl nach Luft schnappt.
»Das ist nicht wahr«, antwortet er.
»Hier weiß ja sogar jeder Unterbelichtete über den Geirfinnsfall Bescheid.«
»Ich weiß nicht, was sich in Island alles getan hat, seit ich weggegangen bin.«
»In fast dreißig Jahren? Das glaube ich nicht!«
»Das ist wirklich wahr. Ich habe keine Kontakte nach Island oder zu Isländern. Und die Frau in der Botschaft hat nichts von dem erwähnt, was du berichtest.«
Die Stimme ist kurz davor, zu brechen.
»Ich wollte doch nur zu Hause sterben«, fügt er hinzu.
Sterben?
»Wie meinst du das?«, frage ich.
»Ich habe Krebs. Der Arzt gibt mir noch ein oder zwei Monate. Deshalb hatte ich die Idee, wieder nach Island zurückzukommen.«
»Was für eine Fantasie!«
» No , no, das ist alles wahr. Was kann ich tun, damit du mir glaubst?«
Plötzlich fühle ich mich hin- und hergerissen.
»Wenn du etwas von deinen Behauptungen beweisen kannst, darfst du mir eine Mail schicken«, sage ich nach einer Denkpause. Diktiere ihm dann meine E-Mail-Adresse. Und knalle den Hörer kräftig auf die Gabel.
So ein Blödsinn!
Wahrscheinlich bin ich über mich selbst am ehesten wütend. Dafür, dass ich so weichherzig bin. Dass ich mir den Kerl nicht gleich vom Hals geschafft habe. So, wie es mir die Vernunft eingegeben hat.
Glaubt jemand wirklich, dass ich auf solche Dummheiten hereinfalle? Dass Geirfinnur Einarsson noch am Leben ist?
Sein plötzliches Verschwinden aus Keflavík im Jahr 1974 war der Beginn des umfangreichsten Kriminalfallsdes Jahrhunderts. Die ganze isländische Gesellschaft lief jahrelang Amok.
Die Goldjungs hatten zwar nie eine Leiche gefunden. Aber trotz jahrzehntelanger Konflikte wegen des umstrittenen Urteils des Obersten Gerichts waren alle der Meinung, dass Geirfinnur Einarsson tot und an einem unbekannten Ort begraben sei. Und das seit schon fast dreißig Jahren.
»Nur der Herr entsteigt dem Grab lebendig.«
Sagt Mama.
12. KAPITEL
Freitag
A vaaah!«
Ich nutze die Freitage gerne, um mich mit Speis und Trank zu verwöhnen. Koche mir selber etwas Neues und Spannendes.
Meistens bin ich der einzige Gast bei dem Festmahl der Woche. Aber heute nicht. Ich beschloss, Arbeit und Vergnügen zu verbinden.
Audur war zuerst etwas skeptisch. Meinte, dass sie mich nicht gut genug kennen würde, um eine solche Einladung anzunehmen. Außerdem sei sie am späten Abend schon anderweitig verabredet.
Aber es gelang mir, sie umzustimmen.
Sie hat Schauspiel und Theaterwissenschaften in Paris studiert. Also habe ich mich in französische Gefilde begeben. Habe bei Alice und Gertrude um Inspiration gebeten. Lud ein zu dünnen, leicht angebratenen, frischen Dorschfilets in weißweinsaurem Obstpüree. Á la Mont-Bry. Mit unwiderstehlicher Teufelssauce. Und prickelndem Weißwein. Chateau de Rions. Vom Onkel in Frankreich.
Lecker, lecker!
Je später der Abend, desto gesprächiger wird Audur. Erzählt mir von ihren Studienjahren in Paris. Von ihren Abenteuern auf den heimischen und ausländischen Bühnen. Ihrer Arbeit bei der Selbstständigen Theatergemeinschaft.
Und von ihrer Jugendfreundin und ihrem Idol.
Snjófrídur.
Sie hatte Zeitarbeit&Consulting innerhalb von ein paar Jahren aufgebaut, nachdem ihr Mann durch einen Unfall im Ausland starb. Er hatte ein Großhandels- und Im- und Exportunternehmen von seinem Vater geerbt. Snjófrídur war der Annahme, dass der Betrieb reibungslos lief. Aber als der Ehemann abtrat, stellte sich schnell heraus, dass sich das Familienunternehmen am Rande des Ruins befand.
»Du kannst dir wohl vorstellen, was für ein Schock das für Snjófrídur war«, sagt Audur. »Manche Frauen hätten gleich aufgegeben, aber sie wurde durch den Gegenwind stärker und nahm sich
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