Der falsche Mörder
du?«, fragt Audur.
»Sie sprach über Mord, als wäre es eine spannende Erfahrung und nicht ein schweres Verbrechen.«
»Dísa geht darin auf, so zu reden, als wäre sie weiß Gott wie lebenserfahren und abgebrüht, aber das liegt vor allem daran, weil Matti sie immerzu anstachelt, aufs Ganze zu gehen. Es ist dir erwartungsgemäß nicht entgangen, dass Dísa Matti für ihren Helden hält?«
»Und was ist mit Harpa?«
»Dísa ist total auf Matti fixiert, Harpa hingegen ist wie hypnotisiert von Dísa. Das Leben kann manchmal schon gemein sein.«
Audur erlaubt sich ein Lächeln.
»Sie wohnen sogar zusammen«, fährt sie fort. »Dísas Eltern haben ihrer Tochter eine nette Wohnung im Souterrain ihres Hauses zur Verfügung gestellt, und Harpa bewohnt dort ein Zimmer.«
Als ihr Glas leer ist, koche ich eine neue Ration duftenden Jackie-Kaffees. Audur nimmt das Getränk gerne an.
Da finde ich, dass die Zeit gekommen ist, zum Kern der Sache vorzustoßen.
»Hat Sjöfn wohlhabende Liebhaber erpresst?«
Audur stellt das Glas vorsichtig wieder auf den Tisch. Aus ihrem Blick lässt sich nichts schließen.
»Wie soll sie das gemacht haben?«, fragt sie zurück.
»Hat sie zum Beispiel heimlich Videos von sich und den reichen Typen aufgenommen und ihnen dann die Aufnahmen verkauft?«
»Hast du auch davon gehört?«
Ich nicke.
»Das sähe ihr ähnlich.«
»Weißt du, wo ich Beweise finden könnte?«
Audur nimmt wieder einen Schluck. Hält dann das Glas mit beiden Händen auf ihrem Schoß fest.
»Das ist die große Frage!«, antwortet sie schließlich lächelnd.
»Meinst du nicht, dass jemand ihr dabei geholfen haben muss?«
»Du suchst also auch einen Komplizen?«
»Weißt du, wer das sein könnte?«
»Bist du schon darauf gekommen, dass Sjöfn möglicherweise einen Regisseur gebraucht hat?«, fragt sie, nachdem sie eine Weile geschwiegen hat.
»Ja, wenn du Matti meinst?«
Audur antwortet nicht. Aber lächelt nach wie vor. Hat offensichtlich Spaß an diesem Fragespielchen.
»Das ist wirklich ein toller Kaffee«, sagt sie kurz darauf. »Und das Essen war ebenfalls allererste Sahne.«
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Man weiß nie, wann der Weihnachtsmann zu Besuch kommt«, antwortet sie und steht auf. Sie ist größer als ich.
»Aber jetzt muss ich mich verabschieden.«
Hinterher lege ich mich mit meinem Glas in der Hand aufs Sofa und versuche, den Abend auszuwerten. Plus und Minus gegeneinander aufzurechnen.
Stand Matti hinter Sjöfn? Waren ihre dubiosen Geheimnisse auch seine Geheimnisse?
Vielleicht sollte ich mein Interesse eher auf ihn richten? Mal ein bisschen in seiner Vergangenheit graben? Und mal gucken, was sich in seinem Mist findet?
Mit diesem Weihnachtsmanngerede wollte Audur wahrscheinlich andeuten, dass sie bereit ist, mir zu helfen, dem Geheimnis von Sjöfn auf die Spur zu kommen. Und von Matti.
Oder etwa nicht?
Aber nur auf ihre Weise. Unter ihren Bedingungen.
Deshalb darf ich nicht zu forsch vorgehen. Damit sie nicht vor mir zurückschreckt.
Ein Schritt nach dem anderen. Das ist manchmal der sicherste Weg zum Ziel.
»Geduld ist die beste Waffe des Jägers.«
Sagt Mama.
13. KAPITEL
Samstag
S jöfns Großmutter ist noch am Leben.
Sie heißt Sigurlína und ist schon weit über siebzig. Wohnt trotzdem noch alleine. Sorgt für sich selber.
Ich habe ihre Adresse im Nationalregister gefunden.
Sigurlína reagiert freundlich auf meinen Anruf. Sie ist gerne bereit, mit mir über ihre Enkelin zu reden. Lädt mich ein, sie auf der Snaefellsnes-Halbinsel in Stykkishólmur zu besuchen. Ich sage sofort zu, obwohl noch Winter ist. Ergreife die Gelegenheit, Näheres über Sjöfn zu erfahren. Hatte vorher versucht, mit ihrer Mutter zu reden, erntete aber nur Geschrei und Verwünschungen.
Das ganze Westland ist schneebedeckt. Die glänzend weiße Decke wird tiefer, je weiter man Richtung Norden fährt. An manchen Stellen haben sich hohe Schneewände links und rechts der Straße aufgebaut. Dort, wo sich kräftige Räumfahrzeuge durch die Schneewehen gearbeitet haben. Besonders auf der Straße über die tief verschneite Bergkette auf dem Snaefellsnes.
Mein Silberpfeil nimmt die kleinen Hindernisse, die die Schneegebläse auf dem spiegelglatten Asphalt zurückgelassen haben, mit Leichtigkeit. Außerdem rollt mein Benz auf nagelneuen Winterreifen mit Spikes.
Sigurlína wohnt in einem zweigeschossigen Holzhaus nahe beim Hafen.
Im ersten Stock.
Sie öffnet die Tür unmittelbar, nachdem ich
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