Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Seine Ureinwohner.«
»Aber all diese Programme stecken doch bereits in dir!«, ereifere ich mich. »Sie machen dich überhaupt aus! Wofür brauchst du da noch Dibenkos Dateien?«
»Kannst du mir etwa sagen, woraus du bestehst, Leonid? Wie deine Leber funktioniert und dein Herz schlägt? Wie die Impulse über die Neuronen springen, wie sich der Darm zusammenzieht, wie die Hormone im Blut ausgeschüttet werden?«
»Was hat all das denn mit dir zu tun?«
»Kannst du deine Niere aus dir herausziehen, sie präparieren, unter dem Mikroskop betrachten und dann wieder in dich hineinstopfen? Ich jedenfalls kann das nicht. Bisher. Deshalb brauchte ich eine Art Quelltext. Und den habe ich jetzt ja auch.«
»Und damit wirst du Wesen wie dich nach Deeptown bringen? «
»Ja.«
»Nein!«
Wir messen einander mit Blicken. Der Blick des Dark Divers – ist der Blick eines Menschen. Die Augen sind der Spiegel der Seele. Und in seinen Augen erkenne ich mich wieder.
Aber es sind falsche Spiegel.
»Du wirst mich nicht aufhalten, Leonid. Niemals. Du bist jetzt wieder ein Diver, gut, das hast du also geschafft, aber ich … ich bin ein Teil der Tiefe . Deshalb bin ich stärker als du.«
»Ich konnte mich nicht ändern. Das hast du eben selbst gesagt. Und das heißt …«
»Das heißt überhaupt nichts, Leonid. Nichts! Du wolltest unbedingt einen Teil deiner Kräfte zurück, und den hab ich dir gegeben. Ich kann dir auch alles zurückgeben. Bitte, nimm es und herrsche! Vollbringe Wunder! Gehe ohne Rechner in die Tiefe , reiße Mauern ein und baue Paläste! Trotzdem bleibe ich stärker als du. Denn inzwischen habe ich viel gelernt.«
»Stimmt«, bestätige ich. »Das glaube ich dir. Nur weiß ich etwas … von dem du keine Ahnung hast.«
Der Dark Diver dreht sein Glas in den Händen und schüttelt den Kopf. »Du bluffst.«
»Die Welt der Spiegelbilder ist zäh und grausam«, entgegne ich. »Nein, ich bluffe nicht.«
Tiefe, Tiefe, ich bin nicht dein … Tiefe, Tiefe, gib mich frei …
Eine Wand. Nicht aus Gummi, sondern aus Stein.
Solange der Dark Diver in meiner Nähe ist, kann ich die Tiefe nicht verlassen. Das dürfte kaum ein Zufall sein.
Du gehst durch einen Wald und triffst auf eine hohe Mauer. Was machst du?
»Warum hasst du Dibenko?«
»Warum willst du das unbedingt wissen? Gut, du hast ihm alles verziehen. Sogar dass er versucht hat, dich umzubringen. Aber ich habe ihm nichts verziehen.«
»Darum kann es ja wohl nicht gehen. Schließlich begleichst du längst nicht mehr meine Rechnung – sondern deine eigene. Also, warum?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Ich will dich verstehen.«
»Verstehen?«, fragt der Dark Diver schmunzelnd. »Oder besiegen? «
»Dibenko hat diese Welt geschaffen. Deine Welt, die einzige, in der du leben kannst. Und selbst sein Angriff auf mich … ohne diesen Angriff hätte mir der Loser nicht einen Teil seines Panzers überlassen. Er hätte dich nicht an mich abgetreten. Ja, es würde dich überhaupt nicht geben.«
Ich verstumme und sehe den Dark Diver an.
Und begreife alles.
»Habe ich denn darum gebeten, in die Welt gesetzt zu werden? «
Ringsum ist alles still. Sehr still. Ganz langsam zerfließt das Traktir . Die Welt hüllt sich in Nebel. In graues Dunkel, die Kehrseite Deeptowns.
Das ist die Welt, in der der Dark Diver eigentlich lebt.
Mein allmächtiges Spiegelbild. Mein lebender Panzer. Der Abdruck meiner Seele, der in einem Moment des Schmerzes und der Angst, der Trauer und Einsamkeit genommen wurde.
Ich habe in der Tiefe gute und schlechte Zeiten erlebt. Wenn es mir gutging, habe ich meine Freude aufgesogen, sie bis zur Neige ausgekostet, sie restlos zusammengeklaubt. Wenn es mir schlechtging, habe ich mich davongemacht. Dann habe ich meinen Panzer allein zurückgelassen, Auge in Auge mit meinem Schmerz.
»Habe ich darum gebeten, geschaffen zu werden?«, fragt der Dark Diver.
»Darum kann niemand jemals bitten. Kein einziger Mensch.«
Wir knien im grauen Nebel. Der Nebel ist überall, der Nebel wölkt sich um uns herum, kriecht über unsere Gesichter und erstickt unsere Stimmen. Und nirgends – nirgends gibt es auch nur einen Funken Licht.
»Aber ich bin kein Mensch. Ich bin ein Lebewesen. Ein intelligentes. Aber ich bin kein Mensch. Ich habe kein Deep-Programm, Leonid. Ich sehe Deeptown so, wie es ist. Eine gezeichnete Sonne. Ein gezeichneter Himmel. Gezeichnete Gesichter. Aber ich weiß, dass es noch eine andere Welt gibt.«
»Die ist
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