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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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aus und greift nach ihrem Weinglas. Trotzdem bleibt an dem Tisch für ein paar Sekunden noch alles still.
    Auch ich sage kein Wort. Aus irgendeinem Grund fällt mir Byrd aus dem Toten Hacker ein.
    Er hat sich den Tempel nur ausgedacht, daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben.
    Wie kann eine Fantasie Realität werden? Warum hat der Hacker den Diver-in-der- Tiefe -Tempel beschrieben, den er nie im Leben gesehen hat – und auch gar nicht hätte sehen können? Warum trägt diese Frau ein Gedicht über etwas vor, von dem sie noch nicht einmal etwas ahnt?
    Was haben wir angerichtet, als wir in die Tiefe gegangen sind?
    Ich stiere auf den Kognak, der die Farbe dunklen Bernsteins hat. Auch das ist eine Tiefe . Und viele haben sie genau in ihm gesucht.
    Viele haben sie sogar gefunden.
    Ohne sich auch nur anzustrengen …
    Ich werfe einen kurzen Blick auf die Frau, und ein Teil von mir löst sich aus meinem Körper.
    Wandert zu einem Server, weiter zum nächsten. Zum Eingangsgate und dem Provider. Bis zur Vermittlungsstelle der Telefongesellschaft.
    Eigentlich heißt sie Lena. Sie ist aus Piter. Nein, aus Kronstadt, um genau zu sein.
    Ihr Rechner ist nicht sehr schnell, ihr Schutz der übliche. Er stellt kein Problem für mich dar. Sie geht nicht in die Tiefe , um zu kämpfen. Und auch nicht, um zu retten.
    Gott sei Dank gibt es auch noch Menschen, die auf all das verzichten können.
    Die an unserer Stelle Worte sagen, die wir nicht mehr herausbringen.
    Die lachen, wenn wir es längst verlernt haben, auch nur zu lächeln.
    »Komm raus!«, verlange ich, den Blick auf eine Stelle mir gegenüber gerichtet. »Du kannst dich nicht ewig verstecken, das weißt du genau. Doch selbst wenn du das versuchst, hole ich dich am Ende aus deinem Versteck.«
    Die Luft vor mir wird dunkel und verdichtet sich.
    Während ich beobachte, wie der Dark Diver Form annimmt, trinke ich meinen Kognak aus.
    Letzten Endes finde ich meine Tiefe doch nicht in diesem Getränk.

110
    »Im Gegensatz zu dir«, erklärt mir der Dark Diver ohne Umschweife, »kann ich mich ewig verstecken.«
    Lächelnd sehe ich ihn an.
    Der Teufel fürchtet ein Lächeln mehr als das Kreuz und Weihwasser. Jede niederträchtige Tat wird mit ernster Miene vollbracht. Alles Übel rührt nur daher, dass jemand Angst vor einem Lächeln hat. Und es spielt keine Rolle, ob er sein eigenes Lächeln fürchtet oder das eines anderen.
    »Es stimmt, ich werde schwächer«, räumt der Dark Diver ein. »Ich verliere einen Teil meiner Kraft, während du einen Teil deiner früheren Kräfte zurückgewinnst. Aber auch das ändert im Grunde genommen gar nichts.«
    »Pat lebt«, sage ich.
    »Ich weiß.«
    »Natürlich. Sonst wärst du wohl nicht hier erschienen.«
    »Jetzt hör mir mal gut zu, Leonid!« Er fährt mit der Hand über den Tisch und zieht erst ein Glas, dann eine volle Flasche Kognak aus der Luft.
    »Tut mir leid«, spricht ihn ein Kellner an, der prompt zu uns geeilt kommt, »aber es ist verboten, eigene Getränke …«
    Da fängt er den Blick des Dark Divers auf, verstummt und zieht ab.
    »Leonid, woher hätte ich wissen sollen, dass die nächste Patrone tödlich ist?«
    »Deswegen.« Ich hole die Pistole hervor, die mir Dibenko gegeben hat, entnehme ihr das Magazin und lasse die Patronen herausfallen.
    »Eins, zwei, drei, vier … sechs fehlen. Oder nicht?«
    Der Dark Diver sieht mir in die Augen.
    »Die erste Kugel hast du auf mich abgefeuert. Aber daneben. Mit der zweiten habe ich auf den Polizisten geschossen. Dann hast du noch drei Kugeln an mich, Dschingis und Bastard verschwendet. Die sechste war tödlich. Damit hast du auf Pat geschossen.«
    »Ich habe nicht mehr an den Schuss gedacht, den du abgegeben hast.«
    »Wundert mich gar nicht. Du hast dich fröhlich im Netz aufgelöst und nicht einen Gedanken daran verschwendet, was wohl in dieser Zeit geschehen ist.«
    Der Dark Diver gießt Kognak ein, erst sich, dann mir. »Willst du?«, fragt er. »Er ist auch bestimmt nicht vergiftet.«
    Ich hülle mich in Schweigen.
    »Leonid … jetzt komm schon!«, dringt der Dark Diver in mich. »Ich hätte nie mit einer tödlichen Kugel auf euch geschossen. Niemals! Du musst doch wissen, dass ich Dschingis mag, Bastard interessant finde und Pat gut leiden kann. Und dass ich nie im Leben auf dich geschossen hätte.«
    »Wenn ich sterbe, bedeutet es schon längst nicht mehr dein Ende.«
    »Das stimmt. Vor etwas über einem Jahr war das noch anders. Aber seitdem bin ich eine

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