Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
und auf sein Leben im grauen Nebel zurückzuführen ist: »Du und ich, wir sind doch seriöse Menschen. Keine sensationsgeilen Journalisten, keine Schriftsteller, die von Wundern träumen. Beim heutigen Stand der Technik ist eine künstliche Intelligenz einfach nicht denkbar. Irgendwann in der Zukunft mag sich …«
»Leonid, du hast doch die Berichte gelesen, oder?«
»Ach ja, diese exaltierten jungen Entwickler – was die nicht alles schreiben …«, halte ich süffisant dagegen. »Wenn es darum geht, Experimente darzustellen und Daten zu interpretieren, dann kennt ihre Fantasie keine Grenzen. Da basteln sie ganz schnell eine künstliche Intelligenz zusammen. Aber die Realität …«
»Wie hast du das angestellt?«
»Genauso wie vor zwei Jahren, als ich den Timer ins Deep-Programm eingebaut habe.«
Dibenko presst die Lippen aufeinander. Er sieht nicht gerade erstaunt aus. Entweder hatte er sich das zusammengereimt, noch ehe ich die Wahrheit kannte, oder er steckt den Schlag tapfer weg.
»Geht’s etwas genauer?«
»Dmitri, du weißt besser als ich, was es heißt, ein Programm zu schreiben. Auch das ist ein schöpferischer Akt irgendwo an der Grenze zwischen Mystik und Zauberei. Du startest es das erste Mal, und es läuft nicht. Du startest es erneut, und es läuft. Dann startest du es ein drittes Mal, und es öffnet sich etwas ganz anderes. Es ist Alchemie. Zauberei. Hast du dir noch nie die Daumen gedrückt – dass das Programm auch funktioniert? Manchmal hilft dergleichen. Frag einen Künstler, wie er auf die richtige Farbe kommt. Frag einen Schriftsteller, wie er die passenden Wörter auswählt. Frag einen Bildhauer, woher er weiß, welche überflüssigen Teile er vom Marmor abschlagen muss.«
»Und du bist sicher, dass du die richtigen überflüssigen Teile abgeschlagen hast?«
»Ich hoffe es.«
Dann stehe ich auf und verbeuge mich.
Und löse mich in bunten Schnee auf.
111
Ich legte den Helm auf den Bildschirm. Wie üblich.
Ich zog den VR-Anzug aus der Schnittstelle. Wie üblich.
Aber den Anzug selbst behielt ich an.
Die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Vika saß auf dem Bett und sah mich an.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte ich.
»Wirklich alles?«
»Nein, natürlich nicht. Das ist ja nie der Fall. Trotzdem ist so weit alles okay.«
Vika nickte. Ihr Blick war irgendwie sehr merkwürdig. Inquisitorisch.
»Bastard hat angerufen. Er hat uns für morgen zu Dschingis eingeladen. Und er hat gesagt, dass mit Pat alles in Ordnung ist, er musste nicht mal ins Krankenhaus. Was ist da passiert? «
»Jemand hat mit einer Waffe der dritten Generation geschossen. Das war jedoch die letzte Kugel. Die Dinger gibt es inzwischen nicht mehr.«
»So etwas hatte ich schon befürchtet. Aber du konntest Pat retten?«
»Nein, das war Dschingis. Es musste jemand sein, der in der Nähe des Jungen war.«
»Du hast ganz rote Augen, Ljonka. Und du siehst aus … als ob du alle Dark Diver erschrecken möchtest.«
»Es gab nur einen Dark Diver. Und den gibt es mittlerweile auch nicht mehr.«
»Du hast ihn …?«
»Nein! Er hat einfach aufgehört, ein Dark Diver zu sein. Mehr steckt nicht dahinter.«
»Wir sollten wohl einmal über verschiedene Dinge miteinander reden, Ljonka. Über etliche, wenn ich es recht bedenke.«
»Stimmt. Aber morgen. Da werde ich erst dir alles erzählen, dann fahren wir zu Dschingis – und dort muss ich auch noch das eine oder andere klarstellen.«
»Ja … du musst hundemüde sein«, erwiderte Vika. »Komm schlafen.«
»Nein, deshalb müssen wir das Gespräch nicht vertagen. Ich muss noch etwas in der Tiefe erledigen. Eine letzte Sache. Dabei habe ich noch immer nicht die leiseste Ahnung, wie ich mich in der Frage verhalten soll. Aber ich muss das allein entscheiden, ich darf nicht mal jemanden um Rat fragen.«
»Bist du sicher, dass die Sache nicht warten kann?«
»Ja, denn ich habe etwas begriffen. Eine schlichte Wahrheit, die mir vorher allerdings nicht klar war. Wenn du schwimmen kannst, dann solltest du nicht am Ufer sitzen.«
»Ist die Zeit der Diver wieder angebrochen?«
»Sie war nie vorbei, Vika. Wir waren nur alle müde. Dennoch hat es die ganze Zeit über Diver gegeben. Genauso wie es sie heute gibt und auch in Zukunft immer geben wird. Solange die Tiefe lebt und in ihr diejenigen, die zu ertrinken drohen.«
»Das wird Nedossilow hart treffen …«
»Er wird’s verkraften – und sich eine neue, durch und durch logische Erklärung ausdenken. Davon versteht
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