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Der falsche Zeuge

Der falsche Zeuge

Titel: Der falsche Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Blómkvist
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durchlöcherten Rollsplitt. Ich denke nur daran, so schnell wie möglich von diesem dunklen und gespenstischen Hochland wegzukommen. Und bewohnte Gebiete zu erreichen.
    Verdammt!
    Jódís scheint aus ihrer Bewusstlosigkeit aufzuwachen. Sie bewegt sich neben mir. Und stöhnt schwer. Schließlich hebt sie den Kopf. Ihr Gesicht ist völlig blutig.
    Ich versuche aus ihrem Blick zu schließen, ob sie jetzt genug hat.
    Nein!
    Jódís versucht schon wieder, nach dem Schalthebel zu greifen.
    Meine Reaktion kommt ganz automatisch.
    Ich mache eine Vollbremsung. Und biege dabei nach links. Jódís schlägt wieder gewaltig gegen die Tür. Die Beifahrertür springt auf. Jódís hängt schon halb aus dem Auto heraus, als ich bemerke, dass der Silberpfeil auf die Seite kippt.
    Teufel noch mal!
    Ich beuge meinen Kopf auf das Steuer. Klammere mich am Lenkrad so fest, wie ich nur kann. Warte auf die schrecklichen Stöße, von denen ich weiß, dass sie kommen werden.
    Der Benz wird weit vom Weg geschleudert. Überschlägt sich mehrfach.
    Der Lärm ist unglaublich. Als ob der Weltuntergang bevorstünde. Aber dann herrscht Grabesstille.
    Eine ganze Ewigkeit.
    Ich klemme im Wrack fest. Kann noch nicht mal den kleinen Finger bewegen. Aber ich habe keine Schmerzen. Bin im ganzen Körper wie betäubt. Erkenne undeutlich zerbrochene Teile meines Autos. Wie in einem fernen Traum. Teil eines Sitzes. Scherben. Plastikstücke. Verbogenes Metall. Kaputte Tür.
    Auch ein blutiges Gesicht. Und starrende Augen.
    Gebrochene Augen.
    Ganz langsam verlischt auch diese undeutliche Umgebung. Irgendwie verschwindet alles in einem dunklen Nebel. Und in Eiseskälte.
    Ich versuche, etwas zu sagen.
    Aber höre mich selber kaum noch. Nur im Geiste.
    Mir ist so kalt.
    »… Mama? …«

43
    Heiligabend
     
    Es gibt weiße Weihnachten.
    Gestern Nachmittag hat es endlich kräftig geschneit.
    Auf den Grasflächen und Wegen zwischen den vielen Gräbern auf dem Friedhof von Grafarvogur liegt frisch gefallener Schnee.
    Das Totenhemd der Unschuld. Mit Füßen getreten. Wie überall. Alle, die heute hierher gekommen sind, um ein weihnachtliches Licht auf den Gräbern ihrer Verwandten und Freunde anzuzünden, haben tiefe Fußabdrücke hinterlassen.
    Auf manchen Bäumen und Grabsteinen liegen dicke und helle Schneemassen. Als wenn kleine Schäfchenwolken als Ganzes auf die Erde gefallen wären. Ohne sich in Regentropfen oder Schnee zu verwandeln.
    Auch auf den weißen Kinderkreuzen haben sich kleine Schneeschäfchen niedergelassen.
    Ich beuge mich vorsichtig zum schneebedeckten Grab hinunter. Versuche, den Schnee um das rote Windlicht festzudrücken, damit es sicher steht. Mit der rechten Hand. Die nach dem Riesensprung des Silberpfeils ungebrochen ist. Zünde den groben Docht mit einem Kaminstreichholz an. Gucke eine Weile der Flamme zu, die es sich hinter dem roten Plastik gemütlich gemacht hat.
    Ich glaube nicht, dass Ruta dieses kleine Kerzchen in der milden Brise der Weihnachtsnacht auf ihrem Grab flackern sieht. Aber irgendwie gelang es mir doch, mich zu überzeugen, dass ich hier eine Kerze für sie anzünden sollte. Selbst, wenn ich es nur für mich tue. Damit es mir an Weihnachten ein bisschen besser geht. So ganz alleine. Mit dem Wissen um die ständige Nähe des Todes in noch ganz frischer Erinnerung.
    Die Kerze brennt fröhlich.
    Ohne immerzu danach zu fragen, warum.
    Schließlich gehe ich langsam in Gedanken versunken zurück. Zwischen den Gräbern hindurch Richtung Ausgang. Auf den Parkplatz zu, wo das Taxi darauf wartet, mich nach Hause zu bringen.
    Ich bin immer noch ziemlich mitgenommen nach den schrecklichen Überschlägen im Auto. Bin gelb und grün und mit Hämatomen übersät.
    Meine linke Seite ist am meisten verletzt. Der Arm wurde an zwei Stellen eingeklemmt. Ein paar Rippen brachen auch. Der Kopf blieb von schlimmeren Wunden verschont. Zum Glück. Dem Sicherheitsgurt und dem Airbag sei Dank.
    Ich habe das Gefühl, wieder auf die Beine zu kommen. Ganz langsam, aber sicher. Zumindest körperlich.
    Aber der Albtraum auf der Mosfellsheidi lässt mich nicht in Ruhe.
    Die meisten Nächte wache ich jäh auf. Aus unruhigem Schlaf. Und immer im gleichen Augenblick: als der Benz krachend nach dem letzten Überschlag auf die Erde knallt. Die kreischenden Bruchgeräusche gehen einem durch Mark und Bein. Auch im Schlaf.
    Jódís liegt unter dem ganzen Schrott. Mit gebrochenen Augen. Sie glotzen mich kalt an. Im Dunkel der Nacht.
    Uff!
    Ich war immer noch

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