Der falsche Zeuge
Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie ihre Fantasien selber glaubt.«
»Können andere diesen Eindruck bezeugen?«
»Drífa natürlich, sie kennt Maria schon lange.«
»Wann hast du Drífa kennen gelernt?«
»Das ist ungefähr fünf, sechs Jahre her.«
»Wie alt war sie da?«
»Wir haben geheiratet, als sie siebzehn war.«
»Vor drei oder vier Jahren?«
»Ja, so um den Dreh.«
»Also seid ihr zusammengekommen, als sie vierzehn war? Oder dreizehn?«
Er errötet leicht. »Sie war schon fünfzehn, wenn ich mich recht erinnere.«
»Und wie alt war Maria, als du angefangen hast, mit ihr zu schlafen?«
»Ich habe sie nie vergewaltigt«, antwortet er aufgebracht. »Sie wollte es selber.«
»Also hast du mit ihr geschlafen?«
Siggi Palli nickt. Verschämt.
»Wie alt war sie da?«
»Vierzehn.«
»Bist du ganz sicher? War sie nicht jünger?«
»Spielt das irgendeine Rolle?«
»Wenn sie jünger als vierzehn war, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du im Knast landest, wesentlich höher«, antworte ich kalt.
»Sie war schon vierzehn«, bestätigt er noch einmal. »Ich bin ganz sicher.«
»Habt ihr seitdem oft miteinander geschlafen?«
»Ab und zu, aber sie wollte viel öfter als ich.«
Ich grinse höhnisch: »Als Nächstes sagst du mir noch, dass sie dich vergewaltigt hat.«
»Nein, ich meine doch nur, dass die Initiative von ihr ausging, sonst wäre es nicht passiert.«
»Und wie erklärst du dir jetzt diese Vergewaltigungsklage?«
»Sie will sich an mir rächen.«
»Weshalb?«
»Ich habe zweimal versucht, die Beziehung zu beenden, und beim zweiten Mal hat es auch endlich geklappt.«
»Warum?«
»Ich wollte einfach kein Risiko mehr eingehen, wegen Drífa.«
»Wie hat Maria reagiert?«
»Sie hat es nicht gut aufgenommen.«
Ich wende meine Augen nicht von ihm. Warte auf eine ausführlichere Antwort.
»Sie hat angefangen zu weinen und so. Du weißt schon.«
»Ja, das kommt mir bekannt vor.«
Er errötet wieder.
»Wie lautet eigentlich ihre Anklage?«, frage ich.
»Sie sagt aus, dass ich sie am ersten Sommertag im Laugardalur {} vergewaltigt habe.«
»Erinnerst du dich, wo du an diesem Tag warst?«
»Ja, ja, wir haben uns am Nachmittag im Laugardalur getroffen, wie sie in der Anklage behauptet, aber es war alles andere als eine Vergewaltigung. Mein Gott, sie hat mich doch gebeten zu kommen!«
»Und was hat sich abgespielt?«
»Na ja, du weißt schon.«
»Was hast du beim Verhör gesagt?«
»Als sie mich zu Hause abgeholt und mir von der Anzeige berichtet haben, war ich so durcheinander, dass ich einfach unbewusst reagiert und alles abgestritten habe«, antwortet er entschuldigend. »Aber als sie mich gestern das zweite Mal vorgeladen haben, hatte ich die Sache besser durchdacht, und da habe ich ihnen die Geschichte erzählt, wie sie war, also über die Beziehung von Maria und mir. Ich dachte, dass das die beste Verteidigung gegen falsche Anschuldigungen sei.«
»Hast du eine Aussage unterschrieben?«
»Ja, gestern Abend, weil sich der Polizist am Ende des Verhörs mir gegenüber ganz anders benahm. Ich hatte den Eindruck, dass er meine Aussage für glaubwürdig hält.«
Ich überfliege schnell die Kopie des Protokolls. Siggi Palli gesteht, mit Maria am ersten Sommertag Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, und ebenfalls ein paar Mal vor und nach jenem Tag. Aber er streitet entschieden ab, dass er sie zum Beischlaf gezwungen hat, weder an jenem Tag, von dem die Rede ist, noch überhaupt irgendwann einmal.
»Welche Erklärung hast du ihnen für deine Lüge beim ersten Verhör gegeben?«
»Ich habe ihnen genau das Gleiche erzählt wie dir, weil es einfach der Wahrheit entspricht.«
»Noch irgendwas, das ich wissen müsste?«
Er schüttelt den Kopf. Kann aber meinem Blick nicht standhalten.
»Bist du ganz sicher?«
»Ja, ja«, antwortet er nervös. »Hätte ich das da nicht unterschreiben sollen?«
»Wir können jetzt sowieso nichts daran ändern, aber nächstes Mal komme ich mit dir.«
Ich beuge mich über den Schreibtisch. »Und ich rate dir, Drífa schnell von dem Seitensprung zu berichten«, füge ich hinzu. »Wenn du nicht willst, dass sie es von Marias Eltern erfährt.«
Siggi Palli wird bleich. Oder besser gesagt, Sigurdur Pálmar. Wahrscheinlich werde ich mir angewöhnen müssen, diesen Namen für ihn zu benutzen, denn er ist ja jetzt mein Mandant.
Muss aufhören, den alten Kosenamen zu verwenden.
Wenn ich kann.
»Die Goldjungs werden deine Aussage in den nächsten Tagen
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