Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
drei der Straßenjungs ihre Tarnjacken ausgezogen hatten und eifrig versuchten, den Wagen von dem Hindernis zu schieben. Der vierte, größer als die anderen und wahrscheinlich ihr Anführer, kam langsam zur Fahrertür. Dort beugte er sich vor und ließ mitten in seinem dunklen Gesicht einen Goldzahn aufblitzen. »Yo.«
Sachs nickte und erwiderte den Blick.
Er schaute kurz zu seinen Freunden. »He, Nigger, strengt euch gefälligst an! Ihr sollt euch da hinten keinen runterholen.«
»Leck mich«, rief einer von ihnen keuchend.
Er bückte sich erneut. »Yo, Lady, wir kriegen die Kiste schon wieder flott. Was is’n das für ’ne coole Kanone?«
»Eine Glock. Kaliber 40.«
Er musterte ihr Holster. »Super. Die Dreiundzwanziger? Die kompakte?«
»Nein, das große Modell.«
»Gute Waffe. Ich hab ’ne Smittie.« Er lüftete sein billiges Sweatshirt und zeigte ihr mit einer Mischung aus Trotz und Stolz den Griff einer silbernen Smith & Wesson Automatik, die in seinem Hosenbund steckte. »Aber ich werd mir auch so ’ne Glock besorgen.«
Aha, dachte sie, ein bewaffneter Teenager. Wie würde ein Sergeant sich in dieser Situation verhalten?
Der Wagen rollte von dem Mülleimer herunter und stand wieder fest auf dem Boden.
Amelia kam zu dem Schluss, dass es unter den gegebenen Umständen völlig egal war, was ein Sergeant tun würde.
Sie
nickte dem Jungen nun ernst zu. »Danke, Kumpel.« Und sie ließ eine Warnung folgen. »Schieß nicht auf andere Leute, sonst muss ich kommen und dich holen. Alles klar?«
Er grinste breit.
Sie legte den ersten Gang ein und startete mit quietschenden Reifen. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie Tempo hundert erreicht.
»Schnell, schnell, schnell«, murmelte sie und ließ den beigefarbenen Fleck in der Ferne nicht aus den Augen. Der Chevy eierte wie wild, blieb aber weitgehend in der Spur. Sachs setzte sich umständlich das Headset auf. Dann verständigte sie die Zentrale, damit die anderen Einheiten ihr folgen würden.
Immer wieder musste sie hart abbremsen… die dicht bevölkerten Straßen von Harlem eigneten sich nicht für eine Verfolgungsjagd. Doch der Hexer steckte ebenfalls im Verkehr fest – und er war kein annähernd so guter Fahrer wie sie. Allmählich schloss Amelia zu ihm auf. Dann steuerte er einen Schulhof an, auf dem mehrere Kinder Basketball und Softball spielten. Es war nicht viel los. Das Tor hatte man mit einem Vorhängeschloss verriegelt, und wer hier spielen wollte, musste sich entweder wie ein Schlangenmensch durch eine Lücke quetschen oder den sechs Meter hohen Drahtzaun überklettern.
Der Hexer jedoch gab einfach Gas und durchbrach das Tor. Die Kinder liefen auseinander, und er verfehlte einige von ihnen nur knapp, als er beschleunigte, um zu dem Tor auf der anderen Seite zu gelangen.
Nach kurzem Zögern entschied Sachs, ihm wegen der Kinder nicht direkt zu folgen – nicht in einem beschädigten Wagen. Stattdessen umrundete sie den Block und hoffte inständig, den Mazda dort vorzufinden. Sie schlitterte um die Ecke und hielt an.
Er war nirgendwo zu entdecken.
Sie hatte keine Ahnung, wo er geblieben sein konnte. Während der Fahrt um den Sportplatz und die Schule hatte sie ihn allenfalls für zehn Sekunden aus den Augen verloren. Und der einzig mögliche Fluchtweg war eine kurze Sackgasse, die vor einigen dichten Büschen und kleinen Bäumen endete. Über den Wipfeln konnte Sachs die erhöhte Fahrbahn des Harlem River Drive erkennen. Dahinter lag nur noch die schlammige Flussböschung.
Er hat es also doch geschafft… Und mir bleiben fünftausend Dollar Karosserieschaden. O Mann…
Dann erwachte plötzlich ihr Funkgerät zum Leben.
»An alle Einheiten im Umkreis Frederick Douglass und Hundertdreiundfünfzigste. Uns wurde ein Zehn-vierundfünfzig gemeldet.«
Autounfall mit möglichem Personenschaden.
»Ein Fahrzeug ist in den Harlem River gestürzt. Ich wiederhole, wir haben ein Fahrzeug im Wasser.«
Ob er das war?, überlegte Sachs.
»Hier Spurensicherung, Einheit Fünf Acht Acht Fünf. Bezüglich des Zehn-vierundfünfzig. Wurde der Fahrzeugtyp mitgeteilt? Kommen.«
»Mazda oder Toyota. Neues Modell. Beige.«
»Okay. Zentrale, es handelt sich vermutlich um den verdächtigen Wagen, der am Central Park geflohen ist. Ich bin Zehn-vierundachtzig vor Ort. Ende.«
»Roger, Fünf Acht Acht Fünf. Ende.«
Sachs fuhr die Sackgasse hinunter und parkte auf dem Gehweg. Als sie ausstieg, trafen ein Krankenwagen und ein Transporter der Emergency
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