Der Federmann
drei Stunden hatte er sie gebeten, in der Wohnung von Coralie nach dem Rechten zu sehen.
Zwei Abende lang hatte er Coralie nicht erreichen können, am ersten hatte er noch vermutet, sie sei verärgert, weil er sich in der Nacht zuvor nicht mehr gemeldet hatte, das war die durchzechte Nacht mit seinem Kumpel Wayne gewesen. Als aber am zweiten Abend nach dem fünfzehnten Rufton wieder nur die Mailbox ansprang, steigerte sich seine Unruhe. Er hatte versucht, ihre Freundin Maja zu erreichen, aber die war auch nicht da. Er versuchte es noch unzählige Male bei Coralie, mal auf dem Festnetz, mal auf dem Handy, aber nur die Anrufbeantworter meldeten sich. Er hinterließ unzählige Nachrichten.
Am nächsten Morgen rief er in ihrem Büro an, wo man ihm schmallippig verkündete, Coralie Schendel sei seit zwei Tagen unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben und auch heute noch nicht eingetroffen. Ja, man habe natürlich versucht, sie telefonisch zu erreichen, aber vergebens.
Das war der Augenblick, da Achim in Panik geriet. Er wollte auf der Stelle die Polizei in Berlin alarmieren, doch dann versuchte er es zunächst noch einmal bei Maja, denn
er wusste, dass sie wie er selbst einen Schlüssel zu Coralies Wohnung besaß. Maja hob endlich ab und hörte ihn an. Sie bemühte sich, ihn ein wenig zu beruhigen, und versprach, sofort bei Coralie vorbeizuschauen.
Vielleicht war Coralie ja einfach nur furchtbar krank und zu schwach, ans Telefon zu gehen, obwohl ihm sein Gefühl sagte, dass diese Annahme eher unwahrscheinlich war.
Und das war vor drei Stunden gewesen, aber sie rief einfach nicht zurück.
Vor lauter Verzweiflung probierte er es noch einmal auf Coralies Handy. Diesmal schaltete sich auf Anhieb die Mailbox ein, er vernahm ihre vertraute Stimme, die fröhlich um eine Nachricht bat.
Achim war außer sich. Kurz zuvor waren doch noch die fünfzehn Ruftöne zu hören gewesen, was war da nur los? Vielleicht hatte gerade jetzt ihr Akku versagt, das wäre nicht weiter verwunderlich nach den vielen Anrufen von ihm.
Aber wo war Coralie? Was um alles in der Welt war nur passiert?
Es half nichts, er musste noch heute nach Berlin fliegen. Er fuhr seinen Computer hoch, checkte zum wiederholten Mal seine E-Mails, aber sie hatte auch hier keine Nachricht hinterlassen. Er klickte sich auf die Flugseite, und in dem Moment schrillte sein Handy.
Er sprang auf. Auf dem Display erkannte er, dass es Maja war. Hastig drückte er auf die grüne Taste.
»Ja?«
»Achim?«
Es klang, als sei sie unendlich weit weg. Nicht in Berlin,
sondern irgendwo am Ende der Welt, hoffnungslos verloren.
»Ja doch.«
»Achim, es –«
Ihre Stimme war tränenerstickt.
»Entschuldige, dass ich mich erst so spät melde. Es ist –es ist –«
»Was denn, um Himmels willen, nun sag schon!«
Er schrie ins Telefon.
Maja holte tief Luft.
»Du musst kommen. Es ist schrecklich.«
»Was?«, schrie er. »Was ist passiert?«
Dann hörte er sie nur noch schluchzen.
Kolpert war bleich im Gesicht.
»Es ist ein entsetzlicher Anblick.«
»Ist Semmler schon da?«
Er nickte.
Trojan biss sich auf die Lippen und sah kurz zu Gerber hin, der mit ihm gefahren war.
Gerber versuchte es mit einer Grimasse.
»Also los«, sagte Trojan leise.
Zu dritt betraten sie den Raum. Dort hatten sich Semmler und die Kollegen von der Kriminaltechnik versammelt.
Die junge Frau lag nackt auf ihrem Bett, ihre Arme waren nach oben gerichtet, die Beine verdreht. Jemand hatte ihr die Augen ausgestochen, dunkel klafften Höhlen auf, wo einmal ihr Augenlicht gewesen war, verkrustetes Blut klebte auf ihren Wangen. Auf ihrem Bauch befand sich eine tiefe kreisförmige Schnittwunde, genau in der Mitte davon lag,
wie aufgebahrt, ein federloser, ausgeweideter Vogel mit gebrochenen Flügeln.
Trojan schluckte. Er hörte den schweren Atem von Gerber neben sich. Sein erster Impuls war, den Raum fluchtartig zu verlassen, aber dann stieß er die Luft aus und richtete seinen Blick wieder auf die Tote.
Ihr Kopf war beinahe kahl, übersät von unzähligen Schnittverletzungen, vereinzelte Haarbüschel, stoppelig kurz und blutverschmiert, standen in alle Richtungen ab, oberhalb der linken Schläfe hing die Kopfhaut halb herunter, als habe jemand versucht, die junge Frau zu skalpieren.
Über ihren gesamten Körper verteilt waren blutige Streifen, immer zwei nebeneinander.
Trojan kämpfte gegen die Übelkeit an.
Er versuchte sich verzweifelt vorzustellen, das Ganze sei längst zu einem Bild
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