Der Federmann
Einsatz.
Jetzt war es Samstagmittag. Die Stimmung war schlecht, die Ermittlungen verliefen schleppend.
Nach dem vorläufigen Bericht der Rechtsmedizin war der Tod von Coralie Schendel am Dienstagabend gegen zwanzig Uhr eingetreten. Ein Stich in die Halsschlagader, vermutlich von einem Messer mit einer Klingenlänge von mindestens dreißig Zentimetern, habe sie verbluten lassen. Es sei nicht völlig auszuschließen, dass ihr die Stiche in die Augen vorher zugefügt worden seien. Da sie nicht bis ins Großhirn gedrungen seien und damit keine vitalen Funktionen ausgeschaltet hätten, dürfte das die Qualen des Opfers noch vergrößert haben. Zudem gebe es Anzeichen für ein Sexualdelikt, nur schien der Täter ein Kondom benutzt zu haben, es fehlten jegliche Spermaspuren. Ob es zu einer Penetration post mortem gekommen sei, lasse sich nicht eindeutig klären. Spuren von Fingernägeln oder Haut konnten nicht entdeckt werden, das deutete darauf hin, dass der Täter Handschuhe getragen hatte. Außer von dem Opfer seien keine Haare aufgefunden worden, daher müsse vermutet werden, dass der Täter sich mit einer Maske geschützt hatte. Die Verletzungen auf der Kopfhaut rührten von dem Messer und einer Schere her. Die kreisrunde Wunde auf dem Bauch war dem Opfer ebenfalls mit der Schere zugefügt worden.
Die Bewohner des Hauses hatten nichts Verdächtiges gehört oder gesehen. In einer Pressemitteilung wurde die Bevölkerung um Mithilfe gebeten. Alle bisher eingetroffenen Hinweise hatten sich jedoch wie so oft in diesen Fällen als wenig nützlich erwiesen.
Ein Satz aus dem Protokoll der Rechtsmedizin hallte in Trojan besonders nach: Die paarweisen Striemen, die auf dem ganzen Körper des Opfers verteilt waren, stammten
mit großer Wahrscheinlichkeit weder von dem Messer noch von der Schere, sondern von Rasierklingen.
Wörtlich hieß es: »Die Verletzungen erinnern dabei eher an Krallenhiebe, wie von einem Tier.«
Nachdem die anderen gegangen waren, setzte sich Nils zu seinem Chef Hilmar Landsberg an den Tisch. Hilmar hatte leicht beunruhigende kaltblaue Augen, er war mal wieder seit Tagen unrasiert. Aus einer völlig zerknautschten Packung fummelte er eine Zigarette hervor, das Rauchen war im Dienstgebäude eigentlich nicht gestattet, aber Hilmar scherte sich einen Dreck darum.
Er zündete sich die Kippe an und inhalierte.
»Ganz intuitiv, Nils, wie ist deine Einschätzung?«
»Fremdtäter.«
»Und was ist mit ihrem Freund?«
»Wasserdichtes Alibi. Wir haben das doch schon alles durchgekaut, selbst seine Kommilitonen in London haben wir angerufen. Zwei von ihnen bestätigen, mit ihm am Dienstagabend zusammen in seinem Zimmer im Studentenwohnheim gewesen zu sein. Sie bezeugen sogar, dass er in Sorge war, weil er Coralie Schendel nicht ans Telefon bekam. Auch die eingegangenen Anrufe auf ihrem Handy bestätigen das. Außerdem hab ich den Jungen doch selbst befragt. Der war völlig fertig.«
»Und ihre Arbeitskollegen? Ein abgewiesener Mitarbeiter vielleicht.«
»Wer weiß.«
»Er klingelt am Dienstagabend überraschend bei ihr, sie lässt ihn rein.«
»Wir knöpfen uns die Mitarbeiter noch einmal alle vor.«
»Gut. Nächste Möglichkeit: Es ist ein Wildfremder. Wie kommt der Kerl in die Wohnung?«
»Vielleicht kennt er sich mit Schlössern aus.«
»Oder sie hat ihm die Tür geöffnet.«
Trojan hob die Schultern. »Es gibt jedenfalls keine Anzeichen dafür, dass im Flur ein Kampf stattgefunden hat.«
»Also kannte sie ihn vielleicht doch.«
»Was hältst du von der Variante, dass der Täter bereits in der Wohnung war und ihr dort aufgelauert hat?«
Hilmar seufzte, blies den Rauch aus und starrte aus dem Fenster.
»Ist das nicht beängstigend?«, fragte er leise.
»Was meinst du?«
»Du kommst nach Hause und –«
»— hast das Unheil in deinen vier Wänden. Ist es das, was du meinst?«
Hilmar antwortete nicht. Sie schwiegen lange.
Plötzlich verschleierte sich Landsbergs Blick.
»Hilmar? Alles in Ordnung?«
Er fuhr sich kurz mit der Hand über die Stirn. »Ja, ja, alles bestens.«
»Wirklich?«
Hilmar stockte.
»Ach, weißt du, meine Frau –«
Er brach ab. Nils war ein wenig erstaunt. Sein Chef hatte ihm noch nie etwas aus seinem Privatleben anzuvertrauen versucht.
»Geht es ihr nicht gut?«
Landsberg nahm einige tiefe Züge, dann klappte er den silbernen Taschenaschenbecher auf, das Geburtstagsgeschenk
seiner Kollegen vom letzten Jahr, und zerquetschte die Kippe darin.
»Gibt es noch
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