Der Federmann
sah, wie ihr wieder die Tränen kamen, und er beschloss, sich lieber nicht zu rühren.
»Und was ist mit deinem Vater?«, fragte er.
»Er ist nicht mein Vater, nur mein Erzeuger.« Sie schlug die Augen nieder. »Hat Mama immer gesagt.«
Er nickte, ihm war diese Unterscheidung aus eigener Erfahrung vertraut, und er sagte: »Mein Erzeuger war auch nicht gut zu mir.«
Sie blickte auf. »Hat er dich geschlagen?«
Wieder nickte er.
»Meiner hat mich auch geschlagen.« Sie schniefte. »Ich will nicht mehr zu ihm.«
»Das kann ich verstehen.«
Sie warf ihm stumme Blicke zu, ihre Augen waren kristallblau. Ihre Kleidung war zerknittert, und die Jacke stank, er dachte daran, dass man sie dringend waschen müsste.
»Ruh dich einfach aus«, sagte er schließlich. »Ein paar Tage, ein paar Nächte, so lange du willst. Du wirst sehen, das wird dir guttun.«
Sie schwieg.
»Das Sofa ist doch bequem, oder?«
Und da sie wieder nichts sagte, klopfte er wie zur Bestätigung auf das Polster. »Es ist ein gutes Sofa.«
Er stand auf und nahm den Teller mit dem verschmähten Essen, doch mit einem Mal saß er dicht bei ihr.
»Hast du Angst?«
Er war ihr jetzt sehr nah, und ihre Augen ruhten auf ihm.
»Wovor hast du denn Angst? Deine Mutter ist im Himmel, sie ist erlöst.«
Ja, dachte er, Erlösung gab es doch für jeden irgendwann einmal, auch für ihn, oder etwa nicht?
»Du bist komisch«, sagte sie nach einer langen Pause.
Er neigte den Kopf. Das hatten ihm schon zu viele Menschen gesagt.
Er erhob sich, trug den Teller in die Küche und schüttete das Essen in den Mülleimer.
Zurück an der Tür, sagte er: »Ruh dich nur aus, wenn du magst.«
Leise zog er die Tür ins Schloss und dachte: Alles hat seine Zeit.
Am Abend kam sie heraus und fragte: »Kann ich mich waschen? «
Er war so überrascht, dass er etwas von seinem Bier verschüttete.
»Natürlich«, sagte er.
Im Badezimmer zeigte er ihr den Stapel mit den Handtüchern und überflüssigerweise auch die Seife auf dem Wannenrand. Sie sagte nichts, wartete ab, bis er sie allein ließ.
Er hörte, wie hinter der Tür das Wasser rauschte. Manchmal, wenn der Strahl gegen den Duschvorhang zu schlagen schien, wurde das Rauschen lauter, es war mehr wie ein Zischen.
Manchmal verebbte es ganz, dann hörte er es wieder deutlich.
Plötzlich war es still.
Er stellte sich vor, wie sie nach dem Handtuch fingerte.
Er horchte, trank einen Schluck Bier, horchte wieder.
Endlich wurde der Riegel im Schloss herumgedreht.
Sie hatte seinen Bademantel angezogen, der ihr um einige Nummern zu groß war. Der Anblick rührte ihn.
Ihre Sachen trug sie im Arm.
Sie stand auf der Türschwelle, barfuß, nur einen Meter entfernt von ihm.
»Hast du eine Waschmaschine?«
»Aber ja.«
Er nickte zu dem Bullauge neben dem Kühlschrank hin, er hatte sie in der Küche anschließen müssen, weil das Bad so klein war.
»Gib her.«
Er erhob sich und wollte ihr die Sachen abnehmen.
Sie aber schüttelte nur den Kopf.
Sie ging zur Waschmaschine, öffnete die Trommel und warf die Sachen hinein.
»Die Jacke auch?«, fragte er.
Wo hatte sie die Jacke gelassen?
Wieder schüttelte sie den Kopf.
Sie drehte an den Reglern. Er wollte ihr helfen, das richtige Programm zu wählen. Als er hinter ihr stand, machte sie eine abweisende Bewegung, dabei rutschte das Revers des Bademantels von ihrer Schulter.
Da sah er den Wundverband: eine Lage Mull, an den Rändern festgeklebt, etwa eine Handbreit groß.
Er schluckte.
Sie zog den Bademantel fester zu, drückte auf den Ein-Aus-Schalter, das Wasser sprudelte in die Maschine, und die Trommel begann zu rotieren.
Eine Weile verharrte sie ratlos, dann setzte sie sich an den Küchentisch.
Er bemerkte ihren Blick auf die Bierflasche.
»Willst du auch eins?«, fragte er.
»Bier? Bist du verrückt?«
Schlagartig wurde ihm sein Fehler bewusst, und er spürte Hitze in seinem Gesicht aufsteigen.
»Das hat mein Erzeuger immer getrunken«, murmelte sie verächtlich.
»Du hast recht, Bier ist nicht gut.«
Er nahm die Flasche und schüttete den Rest in der Spüle aus.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie.
Er überlegte.
»Was hältst du von einem Kartenspiel?«
Er holte die Karten hervor, und sie spielten Mau-Mau. Er konnte sich noch schwach an die Regeln erinnern, ließ sie gewinnen. Als sie ihn ein drittes und ein viertes Mal geschlagen hatte, wollte er zum Ausgleich eine Partie für sich entscheiden, aber dann spielte sie triumphierend wieder
Weitere Kostenlose Bücher