Der Federmann
Lippenpiercing hatte, unheimlich gut auf dem E-Bass spielen konnte und dass er sich in den letzten Tagen einfach nicht mehr bei ihr gemeldet hatte.
»Aber stell dir vor, gerade heute Morgen schalte ich mein Handy ein, und da hat er mir doch in der Nacht gesimst,
von einer Party aus, von der ich gar nichts wusste, und dass es blöd dort ist und er mich vermisst und er sich ärgert, weil er nicht gefragt hat, ob wir was zusammen machen wollen. «
»Du solltest ihm gleich antworten.«
»Hältst du mich für bescheuert? Den lass ich jetzt eine Weile zappeln. Bis heute Abend oder so.«
Trojan strahlte sie an.
Sie aßen auf, er schlürfte seinen Kaffee, sie den grünen Tee, eine Angewohnheit, die sie neuerdings von Friederike übernommen hatte, die war süchtig nach dem Zeug.
Sie plauderten noch eine Weile, dann stellte er das Geschirr in die Spüle und fragte: »Was hältst du von einer kleinen Bootspartie auf der Spree?«
»Au ja! Kanu?«
»Kanu oder Ruderboot, wie du magst.«
»Kanu ist cooler.«
»Okay.«
Emily sprang auf und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Glücksschauer durchrieselten ihn.
Sie zogen sich die Jacken an und gingen los. Im Treppenhaus deutete Emily fragend auf Doros Wohnungstür.
Er antwortete mit einer vagen Geste, indem er die Handflächen nach oben drehte und eine Grimasse zog.
Emily grinste ihn an.
Sie sprang vorneweg die Stufen hinunter, er folgte ihr.
Unten an den Briefkästen überprüfte er kurz, ob er auch den Wohnungsschlüssel eingesteckt hatte. Emily stemmte die Haustür auf und war bereits draußen auf dem Gehweg, als er stockte.
Etwas hatte ihn irritiert, etwas am Rande seines Blickfelds.
Urplötzlich begann sein Herz wie wild zu schlagen.
»Warte mal einen Moment, Em.«
Er wandte sich um und ging zu den Briefkästen zurück.
Sein Blick wanderte über die Namensschilder, bei seinem eigenen blieb er hängen.
Etwas stimmte da nicht.
Er trat einen Schritt näher, und dann sah er es: Am Einwurfschlitz seines Briefkastens klebte eine Vogelfeder.
Sie zitterte im Luftzug.
Alles in Ordnung, dachte er, nur eine Feder.
Aber sein Herz hämmerte noch immer.
Er nahm den Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete den Kasten.
Mit einem leisen Aufschrei wich er zurück.
In seinem Briefkasten lag ein blutverschmierter, gerupfter Vogel. Seine Bauchhöhle war geöffnet. Auf seiner Brust war mit einer Reißzwecke ein Stück Papier befestigt, auf dem in großen gedruckten Lettern zu lesen war:
AUCH DU WIRST STERBEN, TROJAN.
Ein heftiger Schwindelanfall überkam ihn. Er hielt sich stöhnend an der Treppenhauswand fest.
Von draußen rief Emily nach ihm.
Das Blut toste in seinen Ohren.
Nichts anfassen, durchfuhr es ihn, keine Spuren verwischen.
Es brauchte ein paar Sekunden, dann hatte er sich halbwegs
gefangen. Er nahm ein Taschentuch aus seiner Jacke, legte es über seine Hand und klappte so den Briefkasten wieder zu. Er schloss sorgfältig ab und steckte den Schlüssel ein, knüllte das Taschentuch zusammen und ließ es in der Jacke verschwinden.
Schon war er bei Emily.
»Was ist denn los, Paps?«
Ich darf sie jetzt nicht enttäuschen, dachte er, wir wollen doch zur Spree.
Instinktiv sah er sich um. Die Forsterstraße wirkte ruhig und friedlich, die Bäume rauschten im Wind. Aus einem geöffneten Fenster drang fröhliches Gelächter zu ihnen.
»Alles in Ordnung?« Emily berührte ihn am Arm.
»Hmm. Mir war nur kurz ein bisschen schwindlig.«
Er schluckte.
»Komm«, sagte er mit belegter Stimme, »jetzt machen wir uns einen schön Tag.«
Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu, dann nickte sie.
An der Brücke wechselten sie auf die andere Straßenseite und erreichten nach einigen Metern den Freischwimmer, wo der Bootsverleih war.
Der Boden unter seinen Füßen schwankte leicht, obwohl sie sich noch an Land befanden.
»Lass uns doch lieber ein Ruderboot nehmen.«
»Och, warum denn?«
Er versuchte zu lächeln: »Ein Kanu ist so wacklig.«
Sie zog einen Flunsch.
»Außerdem sitzt man sich im Boot gegenüber.«
»Na schön.«
Er bezahlte am Tresen des Lokals für eine Stunde, man wies ihnen ein Boot zu, und sie stiegen ein.
Emily wollte zuerst rudern.
Er hockte im Heck, seine Hände schwitzten.
Sie plauderte weiter, während sie den Flutgraben entlangschipperten und die Spree erreichten.
Das Licht war grell, die Wolken am Himmel zerfetzt. In der Ferne leuchtete der Fernsehturm, über die Oberbaumbrücke ratterte eine U-Bahn.
Sie ruderte in
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