Der Federmann
Er muss ja seine Phantasien nicht gleich in die Tat umgesetzt haben. Aber vielleicht hat er in dem Verhör gespürt –«
Er blickte ihn an.
»– dass er der Kleinen hoffnungslos verfallen war.«
»Einer Zehnjährigen!«, zischte Landsberg.
Er verzog angewidert das Gesicht.
»Ich weiß, ich weiß. Pädophile verlieben sich unsterblich in ihre Opfer. So ist das nun mal.«
Landsberg fummelte eine Kippe hervor und steckte sie sich in den Mund, ohne sie anzuzünden.
Trojan sagte: »Er ist ihr verfallen, wir nehmen ihn in die Mangel, er weiß, er wird das Mädchen nie wiedersehen, er kommt womöglich wegen Kindesentführung dran, er schämt sich wegen seiner pädophilen Phantasien, er ist depressiv, hat einen Hang zur Autoaggression, und dann will er mir auch noch Schuldgefühle einimpfen. Also nimmt er sich das Glas und beißt zu.«
Landsberg schaute ihn überrascht an. »Du klingst schon wie so ein verdammter Seelenklempner, Nils. Hast du Erfahrungen in der Richtung?«
Trojan spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht stieg.
Es entstand eine Pause, Landsberg versuchte zu lächeln.
»War bloß ein Scherz«, sagte er und steckte die Zigarette wieder zurück in die Packung. »Ich hasse diesen Job«, fügte er leise hinzu.
»Was ist los mit dir, Chef? Zu viel Arbeit, oder –«, Trojan überlegte, ob er sich die Frage erlauben durfte, »oder ist es wegen deiner Frau?«
Landsberg lachte plötzlich auf, aber es war ein gekünsteltes Lachen, zu laut, gepresst.
Er entfernte sich ein paar Schritte und blieb stehen.
Es war, als würde er mehr zur Wand als zu Trojan sprechen: »Sie hört Stimmen. Sie wird langsam verrückt. Es gibt Tage, an denen ich sie einfach nicht wiedererkenne.«
Abrupt drehte er sich zu ihm um.
Es schimmerte in seinen Augen, für einen Moment fürchtete Trojan, sein Chef könnte die Fassung verlieren.
»Hilmar, das tut mir so leid.«
Rasch setzte Landsberg ein schiefes Grinsen auf, kam auf ihn zu und klopfte ihm auf die Schulter.
»Erzähl’s bloß nicht weiter.«
In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und die Krankenschwester trat auf sie zu.
»Sie dürfen jetzt zu ihm, aber höchstens für zehn Minuten. «
Landsberg versetzte Trojan einen freundschaftlichen Stoß, offenbar erleichtert darüber, dass der private Teil ihres Gesprächs damit beendet war, dann nickte er zu der Schwester hin.
Sie mussten sich einen Kopfschutz überziehen und Plastikschoner über die Schuhe streifen, dann wurden sie von ihr durch die Schleuse geführt.
»Wie gesagt, nicht länger als zehn Minuten.«
Moll wurde künstlich beatmet, die Maschine fauchte monoton. Im Takt seines Herzschlags bewegte sich auf dem Monitor ein Punkt, begleitet von einem durchdringenden Piepton. Molls Hals und seine Brust waren dick verbunden, von seinem Mund war unter der Sauerstoffmaske nicht viel zu erkennen.
Durch die Spritzenpumpen sickerten Schmerzmittel.
Seine Augen waren geschlossen.
Unwillkürlich musste Trojan an seine Mutter denken. Immer in Krankenhäusern dachte er an seine Mutter.
Er beobachtete den flackernden Punkt auf dem Monitor und horchte instinktiv auf seinen eigenen Herzschlag.
Landsberg trat näher an das Bett heran.
»Moll, kannst du uns hören?«
Nur das Fauchen der Maschine und der Piepton auf dem Monitor kamen als Antwort.
»Mach die Augen auf, Moll, wir haben noch ein paar Fragen an dich.«
Trojan registrierte den aggressiven Unterton in Landsbergs Stimme.
»Komm schon, Moll, so einfach ist das nicht, Glas schlucken und dann die Schnauze halten.«
Das Zucken auf dem Monitor veränderte sich mit einem Mal, zumindest kam es Trojan so vor, vielleicht war da etwas in seinem Gehirn, das auf sie reagierte.
Auch er trat näher heran. Er beugte sich über das Gesicht des Patienten.
Es roch streng nach einem Reinigungsmittel, irgendein Spray, mit dem sie ihm vielleicht die Mundhöhle desinfiziert hatten, zumindest das, was noch von ihr übrig war.
»Lene Halldörfer«, sagte Landsberg, »wir haben sie gefunden, deine Süße. Ihr geht es so weit gut.«
Plötzlich begannen Molls Augenlider zu zittern.
Wach auf, dachte Trojan, bitte wach auf, und sag uns die Wahrheit.
»Lene«, sagte Landsberg noch einmal. »Wirklich süß, die Kleine, ganz wie ihre Mutter. Coralie, Melanie, Lene, klingt doch wie ein Gedicht, Moll, hab ich recht?«
Die Töne auf dem Monitor änderten ihren Rhythmus, kamen wie im Stakkato.
Die Augenlider flackerten.
»Hörst du mich, Moll?«
Trojan verspürte einen
Weitere Kostenlose Bücher