Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bentow
Vom Netzwerk:
einhüllen.
    Sie schwiegen lange Zeit.

    Trojan dachte nach.
    »Gut«, sagte er dann, »gehen wir noch ein Stück weiter zurück. Freitagabend, du kommst in die Wohnung. Was ist zuerst passiert? Was ist das Erste, woran du dich erinnern kannst?«
    Ihr Gesicht verfinsterte sich.
    Endlich sagte sie: »Da lag ein Vogel.«
    Trojan runzelte die Stirn.
    »Wo?«
    »Im Flur.«
    »Wie sah er aus?«
    »Er hatte keine Federn mehr, und in seinem Bauch war ein Loch.«
    »Wie groß war er ungefähr?«
    Sie zeigte es mit den Händen.
    Klein wie ein Dompfaff, dachte Trojan. Und er sagte, mehr zu sich selbst: »Aber wir haben hier keinen Vogel gefunden. «
    Da sagte sie plötzlich: »Ich hab ihn mitgenommen.«
    Er blickte überrascht auf.
    »Ich hab ihn in meine Jackentasche gesteckt«, sagte sie. »Er war immer bei mir.«
    Trojan traute seinen Ohren nicht. »Du hast ihn –? Aber warum, Lene?«
    »Ich weiß nicht. Ich dachte, er gehört zu meiner Mama.«
    Sie schwieg eine Weile.
    »Ich hab ihn in der Hand gehalten, auch noch als ich aus der Wohnung rausgerannt bin. Da war Mama schon tot. Und ich dachte, vielleicht hat sie ihn mir ja zurückgelassen. «

    Eine Träne lief über ihre Wange. »Aber nach zwei Tagen fing er furchtbar an zu stinken«, sagte sie leise.
    »Und dann?«
    »Ich hab ihn in der Badewanne versteckt«, flüsterte sie, »in der Wohnung von diesem Mann.«
    In Trojans Kopf überschlugen sich die Gedanken. Konnte es sein, dass Konrad Moll völlig unschuldig war?
    »Lene, sei ganz ehrlich, hat dir dieser Konrad irgendwie weh getan?«
    Sie schüttelte nur den Kopf.
    »Und er hat dich wirklich nicht angefasst oder irgendwelche Spielchen mit dir getrieben?«
    »Nein.«
    »Aber du hattest Angst vor ihm.«
    »Ich hatte plötzlich Angst vor diesem Vogel. In seinem Bauch waren –«
    Sie brach ab.
    Maden, dachte er.
    »Es hat sich darin so komisch bewegt.«
    Sie schluchzte auf. Trojan drückte ihre Hand.
    »Du hast die Polizei gerufen. Und dann?«
    »Ich bin raus aus der Wohnung.«
    »Wo bist du hingegangen?«
    Sie antwortete nicht.
    »Hierher?«
    Sie nickte.
    »Ich – ich wollte endlich zurück zu meiner Mama.« Trojan atmete tief durch. Sie wimmerte lautlos in sich hinein. Er strich ihr über ihre Schulter.
    »Schon gut, Lene. Ab jetzt wird sich jemand um dich
kümmern, okay? Es gibt Einrichtungen, ein neues Zuhause, wo auch andere Kinder sind. Wir werden was für dich finden, versprochen.«
    Warum hat sie nur niemand gesehen?, dachte er. Niemand war für sie da.
    »Muss ich denn schon wieder umziehen?«, flüsterte sie. »Hier waren wir doch auch nicht lang.«
    Sie löste sich von ihm und wischte mit dem Handrücken ihre Tränen ab.
    Er überlegte, ob er ihr noch eine letzte Frage zumuten konnte.
    Sie sah ihn reglos an, als ahnte sie bereits, was nun folgen würde.
    »Lene, noch ein letztes Mal zurück zum Freitagabend. Als du hier in das Schlafzimmer kamst: Was hast du gesehen? «
    Sie rückte weiter von ihm ab. Er spürte, wie sie sich vor ihm verschloss.
    »Du hast gesagt, es war kein Mann, und es war keine Frau, die du gesehen hast.«
    Sie fixierte ihn.
    »Was war es dann?«
    Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis sie antwortete.
    Ihre Stimme war verändert, kalt.
    »Es war ein Tier.«
    »Ein Tier?«
    »Ja.«
    »Wie sah das Tier aus?«
    »Es hatte einen langen Schnabel, und an dem Schnabel war Blut.«

    »Was hat das Tier gemacht?«
    Sie stockte.
    »Lene, erinnere dich.«
    »Es hockte auf meiner Mutter. Und da war dieses Geräusch, wie von einer Schere.«
    »War da eine Schere?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht mehr.«
    »Was geschah dann?«
    »Es drehte sich zu mir um.«
    »Konntest du die Augen von dem Tier erkennen?«
    »Nein.«
    »Was passierte als Nächstes?«
    »Ich bin rausgerannt.«
    »Und dann?«
    »Es kam hinter mir her.«
    Ihr Mund verzog sich vor Entsetzen.
    »Das Tier hatte Krallen, scharfe Krallen. Ich hab sie gespürt. «
    Sie vergrub das Gesicht in den Händen.
    Trojan atmete schwer.
    Großer Gott, dachte er, das muss ein Ende haben.
    Und er sagte leise: »Komm, Lene, ich bring dich endlich fort von hier.«

SECHZEHN
    D as Neonlicht schmerzte in seinen Augen. Er hatte nicht mehr als zwei Stunden geschlafen, die Liege in seinem Büro war hart und unbequem, aber es hätte sich nicht mehr gelohnt, nach Hause zu fahren.
    Noch in der Nacht hatte er Landsberg darüber informiert, dass er Lene gefunden hatte, lebend und bei einigermaßen guter Gesundheit. Sie wurde sofort in einer Klinik von einer

Weitere Kostenlose Bücher