Der Fehler des Colonels
richtete. »Sagen Sie ihm, er soll den hinteren Teil des Flures sichern. Sie bewachen die Gefangenen. Ich kümmere mich um den vorderen Eingang.«
Der Offizier zögerte, aber dann gab er den Befehl. Sobald der Soldat mit dem Sturmgewehr ihm den Rücken kehrte, hob Amato seine Pistole und schoss ihn in den Kopf. Eine halbe Sekunde später traf sein zweiter Schuss den Offizier im Gesicht.
Über den Offizier gebeugt feuerte Amato noch einmal aus kurzer Distanz in die Stirn des Mannes. Dasselbe machte er mit dem niedergestreckten iranischen Soldaten, dann steckte er seine Pistole in dasHolster und rannte zu Daria. Ohne ein Wort zu sagen, schickte er sich an, ihre Fesseln zu lösen.
Einige der Schnallen befanden sich unter der Bank und waren schwer zu öffnen. Amato tauchte kurz mit dem Kopf unter Wasser.
Von draußen hörte Mark weitere Schüsse und Schreie. Er versuchte, die beiden Ausgänge des Raums im Auge zu behalten und gleichzeitig auf Daria zu achten.
Schließlich konnte Amato sie befreien. Sein Anzug hing nass an seinem massigen Körper, unter dem feuchten Hemd zeichnete sich sein Bauchansatz ab. »Komm mit«, sagte er zu ihr.
Sie lag einfach nur da, also hob er sie hoch.
Was dann geschah, bekam Mark, der immer noch die Ausgänge beobachtete, gerade noch aus dem Augenwinkel mit, so schnell lief es ab.
Daria, eben noch wie leblos, rammte im nächsten Moment ihr Knie in Amatos Schritt und griff nach seiner Waffe. Amato konnte kaum ihre Hand packen, als sie versuchte, die Pistole aus dem Holster zu reißen.
»Um der Liebe Gottes willen, Mädchen, ich bin –«
In diesem Augenblick tauchte ein iranischer Soldat mit einer Kalaschnikow auf. Der Stützpunkt werde angegriffen, brüllte er, der Befehl laute, die Gefangenen hinzurichten und das Gebäude zu evakuieren. Den Lauf seiner Waffe auf Amatos Schulter gerichtet und den Finger am Abzug befahl er Amato zurückzutreten.
Stattdessen entwand Amato Daria seine Pistole und stellte sich zwischen sie und den Iraner.
Drei Kugeln zerrissen Amatos Brust. Dennoch hielt er sich lange genug aufrecht, um einen einzigen Schuss abzufeuern.
80
Als er auf die Knie sank, kehrte Colonel Henry Amato im Geiste zu einer Begebenheit zurück, die sich vor über dreißig Jahren in der Innenstadt von Teheran zugetragen hatte. Er befand sich auf der Taleghani-Avenue, vor der amerikanischen Botschaft. Wenige Meter vor ihm hielt quietschend ein schwarzer VW-Käfer mit zerbeultem Kotflügel. Eine alte Frau in einem schwarzen Tschador stieg aus. Sie hatte eine ledrige, sonnengegerbte Haut und einen Buckel.
»Mr Simpson! Mr Simpson!«
Er ging zügig weiter, als hätte er nichts gehört, aber die alte Frau war behende und es gelang ihr, sich ihm auf der belebten Straße in den Weg zu stellen. Rückwärtsgehend hielt sie Schritt mit ihm und schlug die Falten des Tschadors auf, sodass ein kleines Mädchen zum Vorschein kam, das straff in eine grüne Decke gewickelt war.
Das Bild vor Amatos geistigem Auge war jetzt klarer, als es an jenem Tag gewesen war.
Er warf nur einen flüchtigen Blick auf das Baby, gerade lange genug, um die winzigen braunen Augen und die feinen Strähnen dunklen Haars zu sehen, die unter der weißen, rosa bestickten Strickmütze hervorlugten. In den Jahrzehnten, die folgten, hatte er versucht, diese Augen und jede andere Einzelheit jenes Tages zu rekonstruieren, als könne er damit die Zeit zurückdrehen und sich noch einmal neu entscheiden.
Denn dass er an jenem Tag seine Tochter nicht in die Arme genommen, nicht für sie gesorgt und sie geliebt hatte, als sie ihn am meisten brauchte, war der größte Fehler in seinem Leben gewesen.
»Sie wissen, wer das ist!«, rief die alte Frau. »Sie müssen sie nehmen, bringen Sie sie nach Amerika!«
Sie folgte ihm den ganzen Weg die Straße hinunter, flehte ihn immer wieder an, versuchte, ihm das Kind in den Arm zu drücken, bis er sich in ein Taxi wegduckte und ihr die Tür vor der Nase zuschlug.
Mit einer Hand hielt die Frau das Baby fest, mit der anderen hämmerte sie gegen das Autofenster. »Wehe den Betenden, die die Hilfeleistung verweigern! Wenn Sie nicht für sie sorgen können, suchen Sie ein Zuhause für sie! Nehmen Sie das Kind, sage ich! Seine Mutter ist tot!«
Wehe den Betenden, die die Hilfeleistung verweigern …
Es war, als würde ihm die alte Nachbarin immer noch diese Worte ins Ohr schreien.
Wenige Minuten später hatte sie das kleine Mädchen einem verblüfften Botschaftsmitarbeiter übergeben
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