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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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wollten. Schon wollte Barbara zusagen. Dann
fiel ihr ein, daß sie bereits heute zu Zahmeis gehen könnte.
    Es war Sonntag, gut, aber vielleicht
wohnte er auch da bei seinem Großhandel, vielleicht war er sonntags besser zu
erreichen als wochentags. Und wenn nicht, hatte sie einen Spaziergang gemacht
und sich dort umgesehen, und man konnte noch mal hingehen am Montag.
    »Tut mir leid, Jens«, sagte sie. »Bin
bei Astrid eingeladen. Die möchte ich nicht sitzenlassen.«
    Sie sah, wie er die Stirn runzelte.
»Astrid?«
    Er dachte das gleiche wie sie. Früher
war der Greis Astrid gewesen. Sie lächelte ihn strahlend an.
    »Keine Sorge. Diesmal wirklich.«
    Er schien beruhigt, aber sie beschloß
trotzdem, Astrid anzurufen und vorzubereiten.
    Sie ging kurz nach dem Mittagessen. Auf
ihrem Stadtplan fand sie die Löwengartenstraße. Ziemlich weit draußen im Süden,
kurz vor der Autobahn, sie mußte mit der Straßenbahn fahren und umsteigen.
    Dann merkte sie, daß sie aufgeregt war.
Zum erstenmal in ihrem Leben verfolgte sie etwas, ohne zu wissen, weshalb sie
es tat und was es war. Hoffentlich ging es gut.
    Sie stieg aus, mußte ein Stück laufen.
Die erste Enttäuschung kam schnell. Die Nummer eins der Löwengartenstraße war
eine Fabrik. Ein riesiger Kasten mit unzähligen Fenstern, gewaltige Buchstaben
des Firmennamens, aber nicht Zahmeis, ganz anders. Soviel Parfüm konnte auf der
ganzen Welt nicht verschmiert werden.
    Sie blieb am Tor stehen, unschlüssig,
offen war es, aber nur eine leere Einfahrt dahinter. Langsam ging sie hinein.
Was sollte sie sagen am Sonntag? Dann sah sie einen Pförtner hinter einem
Glasfenster, und ihr Mut kehrte zurück. Mit einem alten Mann würde sie fertig
werden.
    Sie lächelte. »Verzeihen Sie, wenn ich
am Sonntag störe, Herr Portier... ich suche einen Bekannten... soll hier wohnen...
Herr Zahmeis... Günther Zahmeis... Parfüm...«
    Der Pförtner nickte gleichmütig,
sofort. »Ja. Der Chemiker, der damische. Ja.« Seine Hand kam durch den
Schalter, deutete nach hinten. »Da... sehen S’ den Turm. Da drin. Vierter
Stock. Möglich, daß er da is.«
    »Vielen Dank«, sagte Barbara.
»Herzlichen Dank!«
    Er hörte nicht mehr zu. Sie lief durch
die Einfahrt.
    Der Turm stand an einer Ecke des
riesigen Karrees, innen war ein gewaltiger Hof mit Parkflächen und
Fahrradständern. Eine Steintreppe führte zu einer breiten Eisentür, viele
Schilder waren an beiden Wänden, und da war auch Zahmeis, ohne Kompanie und KG,
Parfümgroßhandel.
    Die Treppe wand sich in endlosen Kurven
um einen Lichtschacht, aber die Stufen waren flach, leicht zu steigen. Alles die
gleichen Eisentüren in jedem Stockwerk. Endlich war sie im vierten, die letzten
Treppen war sie langsamer gestiegen, aber nicht, weil sie ermattet war.
    Das gleiche Schild wie unten. Eine
Klingel.
    Sie wollte keine Furcht aufkommen
lassen, sie klingelte sofort und hörte den Ton im Inneren. Aber das war alles.
Keine Stimme, keine Schritte. Sie läutete noch einmal, da ergriff sie schon die
Enttäuschung, vergebens, umsonst, er wohnte nicht hier, er war nicht da. Sie
drückte vorsichtig auf die Eisenklinke. Der Schreck durchfuhr sie, als die Tür
knarrend zurückschwang.
    Es roch nach Parfüm, süß und intensiv,
als hätte man eine halbe Flasche in die hohle Hand geschüttet. Sie sah einen
büroähnlichen Vorraum, nicht sehr groß, einfache Aktenregale, eine Holzschranke
vor einem Schreibtisch, dahinter zwei Stühle. Kein Mensch im Raum. Nur hinten
noch mal eine Eisentür, etwas kleiner als die erste.
    »Hallo!« rief sie. Keine Antwort. Sie
hatte keine Furcht im Augenblick, der Parfümdunst war tröstlich, ungefährlich.
Sie ging weiter hinein, schloß vorsichtig die Eisentür. In der Barriere war ein
schwenkbarer Durchgang, wieder knarrte es leise. Jetzt war sie an der hinteren
Tür. Nicht verschlossen. Hier schien einer dem anderen noch zu trauen. Diesmal
knarrte nichts. Der Raum war groß, langgestreckt. Das Licht kam durch zwei
helle Fenster. Links und rechts standen lange Tische mit unzähligen Flaschen,
Gläsern, Geräten.
    Aber Barbara sah nichts von alledem.
Sie sah nur den Schreibtisch vor der hinteren Wand, auch den nur undeutlich.
Davor lag ein Mann auf dem Boden, klein, schmal, sein Haar war dunkel. Herr
Günther Zahmeis lag dort.
    Barbara wich zurück. Sie spürte die
kalte Fläche des Eisens durch ihr Kleid und an ihrer Haut. Der Parfümgeruch
lastete unerträglich schwer und betäubend über ihr.
     
     
     

VII
     
    Barbara

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