Der Feigling
Unstimmigkeiten, dachte sie. Der Greis, der nie arbeitete und wenig
geschrieben hatte, schlechtes Zeug dazu, mit einem ewig unsichtbaren Verleger.
Dieses Kreuz, das ihm stand wie einem Hasen ein Smaragdkollier. Die Kneipe ohne
Gäste, mit den komischen Männern, von denen keiner ganz normal war, alle hatten
einen kleinen Knall, keiner verheiratet, Leute, die es gar nicht mehr gab und
die nicht richtig zur Gegenwart gehörten.
Sie wollte aufhören damit. Was ging sie
es noch an, sie hatte es hinter sich, würde keinen mehr sehen von ihnen, das
Lokal nie wieder betreten. Es kam immer wieder, wie Gondeln an einem Karussell.
Sie war nicht zufrieden mit sich und mit dem Ausgang. Jens und ihr Vater hatten
etwas zu Ende gebracht und erledigt, das sie nichts anging, alles zu schnell,
zu glatt, zu sehr gegen ihren eigenen Willen.
Es muß etwas dahinter sein, dachte sie.
Vielleicht ist er froh, daß alles so gekommen ist. Er hat sie beleidigt, er hat
Jens beleidigt, er hat sich nicht gewehrt in der Kneipe, es muß etwas sein, was
ich nicht weiß. Ich will es wissen.
Die Idee kam, als sie noch mal
einzuschlafen begann. Es war nichts Besonderes, weil es so simpel und
alltäglich war, aber sicher hatte sie gerade deswegen nicht früher daran
gedacht. Sie stand auf, zog ihren Morgenmantel an, ging leise die Treppe
hinunter. Das Telefonbuch lag in der Halle neben dem Apparat. Niemand würde es
so früh brauchen. Sie nahm es mit, legte sich ins Bett auf die Seite und
blätterte.
Die Nummer des Greises wußte sie, er
hatte sie ihr gegeben gleich zu Beginn, deswegen hatte sie nie im Buch danach
gesucht. Es gab viele Hases, sogar einen Jakob, aber mit ganz anderer Adresse
und Nummer. Der Greis stand nicht darin.
Es gab noch mehr mit Namen Schulz.
Keiner hatte ein Büro für Statik.
Sie fand keinen Steuerberater Fuchs und
keinen Rechtsanwalt Carls.
Barbara setzte sich auf und sah aus dem
Fenster. Langsam, langsam. Nicht überschlagen. Konnte alles Zufall sein,
Anschlüsse unter anderem Namen, Nebenstellen, irgendwas.
Dann fand sie Meise. Siegfried Meise,
Dr. phil., Berlingerstraße 38, 49 12 16. Einer war da. Wenn es der Richtige
war.
Sie suchte hastig weiter, schlug die
letzten Seiten auf. Noch einer.
Günther Zahmeis, Parfümgroßhandel,
Löwengartenstraße 1. Telefon 44 02 92.
Zwei von sechsen. Wenigstens etwas.
Sie sprang aus dem Bett, holte sich
Papier und Bleistift. Sorgfältig schrieb sie die beiden Adressen ab, sah nach,
ob die Namen noch bei anderen Anschriften auftauchten, blätterte zurück und
vergewisserte sich, ob nicht einer von den anderen doch darinstand. Nein. Blieb
alles, wie es war.
Sie trug das Buch nach unten auf seinen
Platz. Während sie sich wusch und anzog, dachte sie weiter nach: ein
Schriftsteller mit Telefon, der nicht im Buch stand. Ein Anwalt, ein
Steuerberater, ein Statiker, alle ohne Büro und ohne Telefonanschluß. Jetzt war
sie ganz sicher. Es mußte etwas bedeuten.
Was konnte man tun? Man hätte zu Wuck
gehen können, ins Lokal. Sie fürchtete sich. Sie hatte sich immer vor ihm
gefürchtet, mehr als vor den anderen, er sprach so wenig, er war nie
freundlich, schien alles zu sehen und zu hören. Und jetzt, wo das passiert war
mit Jens und Jakob — sie konnte nicht mehr hin. Der Greis würde es erfahren und
heimlich über sie lachen.
Doktor Meise war nicht dagewesen
gestern. Er konnte verreist sein, krank, gestorben, was wußte sie. Man hätte
anrufen können. Warum? Was sollte sie sagen, welchen Grund angeben? Keinen.
Es blieb Zahmeis. Er war verrückt, aber
auf nette Art, er war nicht unsympathisch bei aller Schreierei, eher zum
Lachen. Sie hatte ihn nie gefürchtet wie Wuck oder den Anwalt, der auch unheimlich
war bei allem guten Benehmen und allen charmanten Reden. Man konnte zufällig
bei ihm vorbeikommen. »Ich habe Ihre Adresse gefunden, Herr Zahmeis, als ich
unter Z herumsuchte, da dachte ich, vielleicht kann ich bei Ihnen Parfüm
billiger einkaufen, es kostet jedesmal einen Haufen Geld. Hoffentlich sind Sie
nicht böse.«
Ja. Der zweite gute Einfall heute
morgen. Er würde nichts übelnehmen, und wenn, was konnte passieren? Kühler
Abschied: Entschuldigen Sie bitte, und viele Grüße ans Lokal. Es war eine Chance.
Beim Frühstück war Barbara ruhig. Jens
sah sie oft an, sprach mit ihr, aber sein Gerede ging ihr auf die Nerven.
Ja, sie hätte alles abgeholt. Er war
schon zu Hause, stockvoll, blaues Auge, der hat genug für ‘ne Weile. Jens
fragte sie, ob sie Spazierengehen
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