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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Zufallsbekanntschaften!
Hergelaufenes Gesindel! Verlorene allesamt! Strandgut des Lebens!«
    »So gestrandet sehen Sie nicht aus.«
Sie deutete auf die Parfümballons. »Bei dem Umsatz!«
    »Es ist flüssiger Gestank«, sagte Herr
Zahmeis und goß Kognak ein, mit zitternder Hand. »Konzentrierte Wollust, auf
Flaschen gezogen. Wie haben Sie hergefunden in diese Höhle?«
    »Ach«, antwortete sie leichthin, »ich
hab’ im Telefonbuch nach Ihrer Nummer gesucht — wollte fragen, ob ich bei Ihnen
die Wollust billiger kriegen kann —, da habe ich Ihre Adresse gefunden, und
heute bin ich zufällig vorbeigekommen. Ich dachte, Sie wohnen auch hier.«
    »Nein!« Er hob die Hände zur Abwehr.
»Stinkbude! Es würde mich töten!« Er sagte nicht, wo er wohnte.
    Barbara sprach weiter mit Vorsicht.
»Ich — hab’ auch mal nach Herrn Carls gesucht — Ihrem Rechtsanwalt —, wollte
was wissen, was Juristisches — der steht nicht im Buch — gar kein Büro.«
    »Kein Büro! Ah! Ein Tunichtgut, ein
Tagedieb! Ein Winkeladvokat! Er wird eines Tages seiner eigenen Hinrichtung
beiwohnen!«
    Sie wagte noch einen Vorstoß.
    »Sie haben seine Adresse nicht
zufällig? Ich kenne hier keinen Anwalt.«
    »Ich habe sie nicht. Was scheren mich
diese Galgenhälse! Ich sehe sie nur zum Frühschoppen, und dann verschwommen.
Schemenhaft! Ich weiß von keinem einzigen, wo er wohnt!« Zur Bekräftigung trank
er aus.
    Barbaras Mut sank. Von diesem
Bierleichnam würde sie nichts erfahren. »Ich hab’ gestern Herrn Doktor Meise
vermißt«, sagte sie. »Kommt er nicht mehr?«
    Er fuchtelte mit der Bierflasche. Der
Alkohol hatte ihn gestärkt. »Ich weiß nicht. Soll krank sein. Schon über
hundert Jahre alt!«
    »Zehntausend.«
    »Zehntausend! Noch schlimmer. Eine
Mumie! Ein verfaulender Kadaver! Man sollte ihn einlegen in Kölnisch Wasser!«
    Barbara fragte nicht weiter. Sie nahm
eine Zigarette. Zahmeis trank und krähte vor sich hin, von Napoleon und seinem
Feldzug nach Ägypten.
    Als das Bier alle war, wankte Herr
Zahmeis mit ihrer Unterstützung zu einem der Regale. Er schenkte ihr zwei große
Flaschen irgendwelchen Parfüms, das ungefähr ihrer Marke entsprach. Sie brachte
ihn zum Stuhl zurück und versorgte ihn mit neuem Bier.
    »Auf Wiedersehen, Herr Zahmeis. Und
vielen Dank für die konzentrierte Wollust!«
    Seine Hände wedelten. »Nichts zu
danken! Sie haben mich gerettet! Ohne Sie wäre ich am Boden verdurstet! Die
Feldflasche war leer, und Ägyptens Sonne brannte über mir! Die Schakale
strichen um mich herum! Lassen Sie sich wieder sehen, wenn Sie Parfüm brauchen!
Oder zum Frühschoppen! Leben Sie wohl!«
    Barbara ging hinaus. Am Ausgang hörte
sie noch seine Stimme. »Gebt Feuer!« Dann knallte der Verschluß einer
Bierflasche. Sie wunderte sich über nichts mehr.
    Draußen kamen ihr Zweifel. Was sie
trieb, war Unsinn, Zeitverschwendung. Der ganze Haufen war so wie Zahmeis.
Überall würde sie das gleiche hören.
    Andererseits war der Nachmittag so und
so verloren. Noch zu dem Doktor? Sie konnte es versuchen. Der Kognak machte
Mut. Und wenn nichts passierte, der Quatsch war dann zu Ende, erledigt.
     
    *
     
    Der zehntausendjährige Doktor Meise
wohnte wieder acht Trambahnhaltestellen weg. Man mußte umsteigen.
    Das Haus war ebenso alt. Das
Treppenhaus roch ähnlich dem Mausoleum am Roten Platz in Moskau. An der Tür des
Doktors waren Schilder von Untermietern angebracht, sehr viele. Jemand kam von
oben die Treppe herunter.
    »Möchten Sie zu Starnheimer?«
    »Nein«, sagte Barbara höflich. »Ich
möchte nicht zu Starnheimer.«
    Die Dame zögerte, aber Barbara verriet
ihr nicht, zu wem sie wollte. Man konnte spüren, wie hart es die andere traf.
Als sie verschwunden war, drückte Barbara auf die Klingel.
    Es öffnete ein wildfremder Mensch,
offenbar einer der zahlreichen Untermieter. Er trug eine abgewetzte Hausjacke
und sah aus, als hätte er gerade irgendwas auswendig gelernt.
    »Kann ich zu Herrn Doktor Meise?«
fragte Barbara.
    Der Geistesarbeiter musterte sie ohne
viel Interesse. »Der ist krank«, sagte er. »Wie heißen Sie bitte?«
    Sie sagte ihren Namen ohne viel
Hoffnung. Der Alte würde gar nicht wissen, wer sie war.
    »Ich frag’ mal, Moment. Kommen Sie
rein.«
    Er verschwand in der Dunkelheit des
Flurs. Man konnte nur schwer etwas von der Einrichtung und den abgehenden Türen
erkennen. Die Luft war verbraucht und dumpf, keine Spur von Zahmeis’
Parfümdünsten.
    Der Untermieter kam auf sie zu.
    »Sie möchten

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