Der Feigling
dröhnend:
»So sein verflucht die Weiber... Weib
sein heißt falsch und schlecht... hier um zwei weiße Leiber... verdirbt
Burgunds Geschlecht!«
Stimmengewirr setzte ein.
Es war das letzte, was Bärbel hörte.
Draußen gingen sie ein Stück
nebeneinander. Sie fühlte seinen Blick und berührte seine Hand. Er drückte sie
mit heftiger plötzlicher Freude. »Bärbel... bist du böse?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es ging nicht anders. Wirklich nicht.«
»Ich weiß.«
Wieder verging einige Zeit. Dann fragte
er: »Und wegen des Briefes?«
»Auch nicht mehr. Du hast recht gehabt.
Mein Vater auch.«
»Wirklich?«
»ja.«
Er lachte. »Dann hat sich’s gelohnt,
ihren Frühschoppen zu besuchen. War deine Idee! Und die Keilerei hat sich auch
gelohnt. Das heißt, eigentlich war es keine. Viel ist in dem nicht drin. Der
ist ja gleich umgekippt. Viel zu schnell. Es muß doch das Alter sein.«
Er hakte ihren Arm unter seinen.
»Bärbel... ich bin so froh, daß wir uns wieder vertragen.«
»Ich auch.«
»Wie du von zu Hause gekommen bist,
dachte ich, jetzt ist der Bart ab und alles aus. Das hab’ ich gedacht.«
»Mit ihm ist es aus«, sagte sie.
Er schwieg für zwanzig Schritte.
»Bärbel?«
»Ja, mein Boxer?«
»Gehst du noch mal hin... zu ihm?«
»Einmal«, sagte sie. »Ich habe seinen
Schlüssel und ein paar Sachen bei ihm. Noch heute hole ich sie.«
»Und wenn er zu Hause ist?«
»Gleichgültig. Einmal noch. Dann nie
mehr.«
*
Barbara drehte den Schlüssel leise. Er
würde nicht zu Hause sein, kaum. Er würde betrunken in der Kneipe herumtorkeln,
mit zerschlagenem Gesicht und lallenden Lippen. Aber sie hörte röchelndes
Atmen, als sie die Tür zum Wohnzimmer öffnete. Sie blieb stehen, erschrocken,
dann ging sie mit schnellen, behutsamen Schritten weiter.
Der Feigling war da.
Er lag angezogen auf seinem Bett. Nur
die Schuhe fehlten, und der Hosenbund und der Kragen waren geöffnet. Er schlief
fest, vom Alkohol betäubt. Er war gegangen, oder irgendeiner hatte ihn
hergebracht, vielleicht war er sinnlos betrunken gewesen, sie hatten ihn
ausgelacht, und er hatte nicht mehr bleiben wollen. Er rührte sich nicht, als
Barbara das Licht im Wohnzimmer anknipste. Sein linkes Auge war blau verschwollen,
er würde es einige Zeit nicht aufkriegen. Auf seiner Oberlippe sah sie eine
schmale Blutkruste, er hatte den Mund geöffnet und atmete in kurzen Stößen. Das
Haar war zerwühlt und verklebt, die Haut im Gesicht schlaff und glasig. Kein
schöner Anblick. So was hatte man geliebt.
Barbara straffte sich kurz, sie mußte
etwas abschütteln, sie zog den Vorhang zum Schlafzimmer leise zu, aber mit
entschiedener Bewegung, sie würde ihn nicht wieder zurückziehen.
Lange brauchte sie nicht. Den Schlüssel
legte sie auf den Schreibtisch. Von der Straße her schimmerten die Lichter
herauf, die sie so oft gesehen hatte. Sie achtete nicht darauf. Viel hatte sie
nicht hier, ein paar Kosmetiksachen im Bad, einen Kamm, Waschlappen, was so
dazugehörte. Sie holte alles, tat es in ihre Tasche, es fehlte nichts. Im
Zimmer sah sie sich um, dachte nach, wo noch etwas von ihr sein könnte.
Richtig. Im Schrank mußten zwei Bücher
sein, die sie ihm geliehen hatte. Sie fand sie schnell. Ein Buch, das ihm
gehörte, hatte sie mitgebracht. Alles. Nichts mehr, was an sie erinnerte. Sie
löschte das Licht und ging hinaus auf den Flur.
Dann fielen ihr die Bilder ein.
Ihre Bilder.
Sie hatte sie ihm gegeben, fünf
Buntaufnahmen von einem Film, sie waren in einem Park geknipst. Ein Sommerkleid
hatte sie getragen, er sah sie gern darin. Er sollte die Bilder nicht behalten.
Sie wußte, er besaß ein Album mit Bildern von Mädchen aus früheren Tagen. Sie
wollte nicht darin landen, wollte nicht, daß er Geschichten erzählte, wie sehr
sie ihn geliebt hätte und wie schwer sie loszubringen gewesen wäre.
Sie ging zurück, machte wieder Licht.
Es war ein gelber Umschlag gewesen, mit der Adresse des Fotoladens. Er mußte
irgendwo sein. Sie öffnete vorsichtig die Schubladen des Schreibtisches, eine
nach der anderen. Der Feigling hatte nie etwas dagegen gehabt, sie wollte ihm
nichts wegnehmen und nicht herumschnüffeln. Aber ihre Bilder mußten her.
Im Schreibtisch fand sie nichts. Sein
Briefpapier, Kohlebogen, Farbbänder, ein paar Schnellhefter, Briefmappe, aller
möglicher Kram. Keine Bilder.
Im unteren Abteil des Schrankes, in der
Mitte, da war noch Papierzeug, das wußte sie, dort mußte auch das Album sein.
Sie zog die
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