Der Feind im Spiegel
unverändert blieben.
»Das ehrt mich, John-san«, lautete die Übersetzung. »Sie sind kein Mann, der leicht zu überlisten ist. Sie sind ein Mann, der sich in Luft auflösen kann, obwohl die Landschaft ganz offen zu sein scheint. Sie sind ein Mann, der immer einen Ausweg kennt. Wie der Fuchs, der mehrere Fluchtwege hat.«
»Kujoyaki-san macht seinen Vorfahren alle Ehre. Es müssen große Samurai in seinem Geschlecht gewesen sein.«
Nun zeigte der Japaner ein kleines Lächeln, er verneigte sich, und John verneigte sich, diesmal im selben Winkel, um zu demonstrieren, daß sie hier ebenbürtig waren, Kujoyaki-san verneigte sich noch einmal, und dann überließ John sie ihren gegenseitigen Prahlereien. Er holte den Rucksack und teilte Wasser aus und achtete darauf, daß jeder ausreichend trank, bevor er ihre Waffen, Schutzbrillen und Tarnanzüge einsammelte, damit ihnen der Rückmarsch zum Auto leichter fiel. Sie bezahlten, also war es nur billig, daß er den Träger spielte. Von jetzt ab waren sie keine Kämpfer mehr, sondern Kunden, die eine Dienstleistung gekauft hatten.
Allerdings mutete er ihnen noch einen Umweg zu. Sie sollten bis zuletzt spüren, daß es eine strapaziöse Tour gewesen war, also führte er sie in schnellem Marschtempo um die Schlucht herum, dann auf der richtigen Seite über einen Höhenkamm, damit sie die schwarze Landstraße in der Ferne nicht sahen, die aus dem Tal führte, und dann hinab über die kreideweißen Formationen bis zu dem großen Chrysler, der im Schatten eines Felsvorsprungs abgestellt war. Es war ein Marsch von nicht ganz zehn Kilometern, aber er gab ein flottes Tempo vor, so daß sie verschwitzt und hundemüde waren, als sie den Wagen entdeckten, der unter der schattenspendenden Persenning stand, die er sechs Tage zuvor aufgespannt hatte.
Dankbar setzten sich die fünf Japaner in den Schatten und tranken das kühle Wasser aus dem Autokühlschrank, der an eine Extrabatterie angeschlossen war. Er faltete die Persenning zusammen, verstaute den Rucksack, ließ den Motor an und schaltete die Klimaanlage ein. Sie fuhren zu ihrem letzten Lagerplatz. Hier ließ er wegen der Kühlung den Motor laufen, während er die Zelte abbaute und die letzten Abfälle vergrub. Er legte das Gepäck der Japaner in den Laderaum, schaute sich noch einmal um und warf die Heckklappe zu.
Der junge Japaner sagte: »Welcher Tag ist heute, John-san? Wir haben jedes Zeitgefühl verloren.«
John überlegte und dachte an den Vertrag.
»Wir haben Dienstag, den 11. September.«
Der Japaner übersetzte, der Chef sagte etwas, und alle lachten.
»Was ist daran so lustig?« fragte John.
»Entschuldigung. Kujoyaki-san sagt, solange wir in der Wüste sind, ist das Datum egal. Jetzt kehren wir in die Welt zurück. Das ist schon merkwürdig. Denn nach dem, was wir hier erlebt haben, sind wir nicht mehr die, die wir vorher waren. Aber die Welt? Die Welt ist, wie sie immer war. Das ist doch lustig, oder?«
2
Aber schon als John die letzten paar Meter zu Tom’s Lodge hinauffuhr, spürte er, daß sich etwas verändert hatte. Die müden Japaner schliefen oder dösten in dem kühlen Auto, sie rochen ungewaschen, genau wie er selbst, das gehörte zum Spiel, eigentlich war alles wie immer, und doch – irgend etwas wirkte nicht normal. Er konnte noch nicht recht sagen, was, aber sein Instinkt machte sich immer als erstes bemerkbar. Er war wie ein feines Instrument, das jede Abweichung vom normalen Zustand sofort registrierte.
Irgend etwas lag in der Luft. Vielleicht weil so wenig Autos unterwegs waren, alle schienen sich verkrochen zu haben, obwohl es weiß Gott nicht übermäßig heiß war. Sie waren die Hügel hinaufgeschlichen und hatten das Tal des Todes verlassen, ohne das Radio anzuschalten. Das war Firmenprinzip. Weder Handy noch Laptop, noch Radio, bevor die Kunden in der Lobby abgeliefert worden waren. Er hatte dem Besitzer Okiniewsky selbst vorgeschlagen, diese Bedingung in die Verträge aufzunehmen, und natürlich hatten die Kunden die Berechtigung dieses Paragraphen sofort verstanden. Es machte die Touren viel authentischer. Und genau das wollten sie ja verkaufen – zusammen mit dem Traum von vergangenen Zeiten und dem ewigen Spieltrieb der Männer. Es war das Geheimnis von Tom Okiniewskys Erfolg: Erlaube den Männern, wieder Jungen zu sein und ihre Phantasien auszuleben, dann zahlen sie bereitwillig jede Summe.
Tom’s Lodge lag am Rande des Nationalparks. Es war ein vierstöckiges Hotel, in dem auch
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