Der Feind im Spiegel
Timings. Sie mußten so nahe an ihn herankommen, daß er sie nicht alle auf einmal treffen konnte, wenn sie sich verteilten, auf Kommando aufsprangen und zur selben Zeit feuerten. Das war eine altbekannte, aber sichere Infanterietaktik. Es würde Verluste geben, aber das gehörte dazu. Letzten Endes würden sie siegen. Aber seiner Meinung nach waren sie sich nicht darüber im klaren, daß er genau wußte, wo sie sich befanden.
Ihre Taktik war doch ein wenig anders, als er erwartet hatte. Als sie die Felsvorsprünge erreicht hatten, sprangen die beiden auf dem linken Flügel auf und stürmten auf ihn zu. Wo waren die anderen? Er ließ sie herankommen und feuerte erst, als er sich ganz sicher war. Auf der Brust des Japaners bildete sich ein roter Fleck. Er stürzte. Gleichzeitig ertönten zwei Schüsse, einer von links, einer von rechts. Sie gingen weit daneben. Er machte eine Rolle, setzte sich in die Hocke und schoß wieder, und auch auf der Brust des anderen heranstürmenden Japaners erschien ein roter Fleck, der langsam größer wurde. Auch er fiel. Wo waren die anderen? Er ließ sich die sanfte Böschung hinabgleiten und kniete sich hin, als ein weiterer Feind um den Felsvorsprung bog, dem er einen frontalen Bauchschuß verpaßte. Das zur Tarnung geschwärzte Gesicht sah verwirrt und etwas komisch aus, als sich der Japaner auf seine vier Buchstaben setzte wie ein Wickelkind, das sich auf den Boden plumpsen läßt.
John Ericsson robbte nach rechts. Er war groß und muskulös, aber er bewegte sich geschickt und geschmeidig. Auf Feind Nummer vier traf er, als dieser in seinen Rücken zu kommen versuchte. Sie drückten fast gleichzeitig ab. John hörte es an seinem linken Ohr vorbeisausen, während sein eigener Schuß im Brustkorb des Widersachers landete. Jetzt verstand er ihre Taktik, aber seine Einsicht kam zu spät. Alles verlief wie geplant. Der Chef hatte denselben Weg wie die beiden anderen genommen, aber schon im Schutze der Dunkelheit, dort hatte er die letzten Stunden geduldig ausgeharrt. Nun stand er plötzlich auf der kleinen Anhöhe und konnte ungehindert auf John zielen.
John drehte sich um und feuerte – und merkte sofort, daß es zu spät war, als die Farbpatrone auf seiner Schulter auch schon explodierte. Er ließ seine Pistole fallen und glitt seitwärts in den groben Sand, während er die lauten japanischen Stimmen und ihr Gelächter über das Schlachtfeld hinweg hörte. Er legte sich auf die Seite und stellte sich tot.
Der kleine Oberjapaner ging zu ihm hinunter. Er lächelte breit, und seine Augen glänzten vor Stolz und Freude. Er trug eine teure gelbbraune Tarnkleidung, die so gut saß, als wäre sie maßgeschneidert. Er nahm Schutzbrille und Mütze ab und blieb ein paar Schritte vor John stehen, der sich erhob und ebenfalls die Mütze absetzte. Der dichte Schopf des Japaners war von Staub und Sand verfilzt. Johns Haare waren hell und streichholzkurz geschnitten. Wenn er die Augen wegen der Sonne zusammenkniff, sah man deutlich seine Falten. Sie waren tiefer als bei einem Mann Anfang Dreißig üblich.
Der Japaner verneigte sich, und John tat es ihm nach, vielleicht eine Idee tiefer als sein Kunde. Dann kamen die anderen vier und verneigten sich ebenfalls, und John verbeugte sich in genau demselben Winkel wie sie. Dann verbeugten sie sich einzeln vor ihrem Anführer, dann voreinander und schließlich gemeinsam vor John, der sich auch noch einmal verneigte, bis sie endlich dazu übergingen, den Kampf zu analysieren. Es war ihre fünfte Übung, und John hatte dafür gesorgt, daß sie alle ihren Spaß und den nötigen Adrenalinkick dabei hatten, sich mit ihren modernen paintguns kunstvoll hinzurichten.
Der Chef sprach japanisch, und der junge Mann übersetzte: »John-san. Kujoyaki-san möchte gerne seinen Dank und seinen Respekt für diese großartige Woche ausdrücken. Durch John-sans Augen hat sich die Wüste für ihn weit aufgetan.«
»Ich habe zu danken. Es war mir ein Vergnügen. Mit Männern vom Schlage eines Kujoyaki-san und seiner Partner eine Woche in der Wüste zubringen zu dürfen war ein Privileg und eine Ehre für mich.«
»Die Ehre ist ganz auf unserer Seite, John-san.«
»Es war eines Soldaten würdig, wie sich Kujoyaki-san im Schutze der Dunkelheit an mir vorbeigestohlen und geduldig wie ein Wolf am Fluß auf das Tageslicht gewartet hat. Er hat mich überlistet.«
Er wartete auf die Übersetzung und bemerkte den Stolz in den schwarzen Augen, während die Gesichtszüge
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