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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Ihnen, dass es ganz und gar nicht so ist, wie Sie es sich vorstellen. Es handelt sich um ein ganz ungefährliches Verfahren. Wir behandeln damit sogar Schwangere, die keine starken Medikamente einnehmen dürfen.
    Auch in der Geriatrie wird damit sehr viel gearbeitet.«
    »Sie setzen ihr Gehirn unter Strom!«
    Er lächelte über meine Worte. »So kann man das wirklich nicht ausdrücken.«
    »Was hat das für Auswirkungen auf ihr Gehirn?«
    »Manche Patienten berichten von einem gewissen Maß an Gedächtnisverlust«, antwortete er, »aber das gibt sich in der Regel wieder. Das Entscheidende ist, dass es sich um eine sehr wirksame Behandlungsmethode handelt. Und bei manchen Patienten ist sie einfach unerlässlich.«
    »Sie meinen, bei schwer kranken Patienten?«
    Er schien sich sehr unbehaglich zu fühlen. »Ich meine beispielsweise bei Patienten, die als stark suizidgefährdet gelten.«
    »Und Sie glauben, das ist bei Holly der Fall?«
    Er machte eine hilflose Handbewegung. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Das darf ich Ihnen nun wirklich nicht sagen. Aber Sie sind doch ihre Freundin. Sie kennen Sie. Sie wissen, was sie durchgemacht hat.«
    »Das ist doch verrückt«, entgegnete ich. »Lächerlich. Sie war doch gar nicht mehr so krank. Es ging ihr schon viel besser. Ich kann gar nicht fassen, wie das alles jetzt so plötzlich passiert ist.
    Zu mir hat sie gesagt, sie wolle leben. Sie hatte nicht vor, es noch einmal zu versuchen, da bin ich ganz sicher.«
    Dr. Thorne ließ sich nicht überzeugen. Er setzte sich wieder hin. Unser Gespräch war offensichtlich beendet.

    Als ich zurückkam, saß Charlie neben Hollys Bett. Sie selbst war mittlerweile richtig wach. Als sie mich sah, lächelte sie matt.
    »Wie geht es dir?«
    »Mir ist noch ein bisschen schwummrig«, antwortete sie.
    »Schwindlig. Duslig. Irgendwie fallen mir dazu nur Worte auf -
    ig ein.«
    Ich hatte das Gefühl, dass ich zumindest Holly gegenüber gute Miene zum bösen Spiel machen musste.
    »Ich habe mit Dr. Thorne gesprochen«, sagte ich. »Er hat sich sehr positiv darüber geäußert.«
    »Mir selbst war ein bisschen mulmig zumute … du weißt schon. Einer flog übers Kuckucksnest. Ich dachte, du würdest hereinkommen und mich mit einer großen Narbe an meinem rasierten Schädel vorfinden. Mir ein Kissen aufs Gesicht drücken.«
    Sie schaffte es noch immer, mich zum Lachen zu bringen. Ich streichelte ihr übers Gesicht. »Du siehst gut aus.«
    Wir unterhielten uns eine Weile, auch wenn es ein etwas zusammenhangloses Gespräch war. Charlie beteiligte sich nicht daran. Er besorgte Kaffee für uns, zupfte am Bett herum und ordnete Hollys Sachen. Er tat mir so Leid. Während des letzten Jahres hatte er ziemlich viel Zeit als Zuschauer der großen Holly-Show verbracht, und nun musste er auch noch ihren Krankenpfleger spielen. Ich fragte mich, ob ihn meine Anwesenheit nervte oder ob er froh darüber war. Ein Blick auf meine Uhr rief mir ins Gedächtnis, dass ich anderswo auch noch ein Leben hatte. Aber vorher wollte ich mit Charlie sprechen. Ich forderte ihn mit einer Kopfbewegung auf, mit mir hinauszu-kommen. Draußen auf dem Gang blieben wir stehen. Ich erklärte Charlie, wie überrascht ich gewesen sei. »Ich weiß«, antwortete er. »Es war eine schwierige Entscheidung. Aber Dr. Thorne sagte, es sei nur zu ihrem Besten.«

    »Ich meine nicht nur das«, erwiderte ich. »Er war mir gegen-
    über unglaublich diskret. Aber das wenige, was er mir erzählt hat, klang irgendwie so, als würde er Holly immer noch für selbstmordgefährdet halten.«
    Einen Moment lang schwiegen wir.
    »Ja?«, antwortete Charlie schließlich.
    »Aber das ist sie nicht.«
    »Wovon sprichst du überhaupt, Meg? Hast du denn keine Augen im Kopf? Warum glaubst du, dass sie hier ist? Sie ist in dem Krankenwagen gestorben. Es ist ein Wunder, dass sie es geschafft haben, sie zurückzuholen.«
    »Ich weiß, ich weiß«, räumte ich ein. »Aber inzwischen ist das anders. Sie hat es mir selbst gesagt. Sie hat gesagt, sie habe erkannt, dass sie leben wolle.«
    Charlie schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, es wäre so. Vielleicht spielt sie bei dir immer noch die fröhliche Holly. Mir gegenüber ist sie anders. Sie spricht nach wie vor von Selbstmord. Sie fängt immer wieder von dem Thema an. Dr. Thorne sagt, das sei ein ganz wichtiger Faktor, der darauf hindeute, dass sie noch suizidgefährdet sei.«
    »Hat sie mit ihm darüber geredet?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete er. »Jedenfalls

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