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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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in die Schublade. Ich wusste, dass ich sonst alles aufs Spiel gesetzt hätte, wofür wir so hart gearbeitet hatten.

    »Du kommst doch Weihnachten mit zu meinen Eltern, oder?«
    Es war keine wirkliche Frage, eher eine Feststellung, und er sagte es ganz beiläufig, während ich mir gerade eine Gabel voll Reis in den Mund schob. Ich war plötzlich erfüllt von einem Gefühl des Glücks über die Stabilität dieser Beziehung und die Herzlichkeit, auf der sie basierte. Ich legte meine Gabel weg.
    »Sehr gerne«, antwortete ich und bemühte mich dabei, meine Rührung nicht allzu sehr zu zeigen. »Wenn du mich wirklich dabeihaben willst.«
    »Natürlich will ich das«, antwortete er. »Außerdem möchten dich meine Eltern kennen lernen.«
    »Wirklich?«, fragte ich strahlend. »Ich würde sie auch sehr gerne kennen lernen.«
    Wir grinsten uns an, bevor wir uns wieder dem Essen zuwandten. Es war das erste Mal seit Jahren, dass ich mich wieder so richtig auf Weihnachten freute. Meistens war ich zusammen mit meinen Eltern zu meiner Schwester nach Devon gefahren. Sie war verheiratet, hatte mittlerweile zwei kleine Kinder und eine Katze und wohnte in einem kleinen Haus am Ende der Welt, umgeben von Wiesen, das Meer in Sichtweite. Ich fühlte mich dort immer ein bisschen wie eine Außenseiterin – die, die jedes Jahr als Letzte und allein eintraf – und spielte zwei Tage lang die brave Tochter und fröhliche Tante, ehe ich wieder nach London flüchtete. Letztes Jahr war ich bei Holly und Charlie gewesen und bis fünf Uhr morgens aufgeblieben, weil Holly, schon ziemlich betrunken, unbedingt noch Scharade spielen wollte. Ich sehe sie noch genau vor mir, wie sie mit ihren hohen Schuhen und ihrem schief sitzenden Papierhut auf einem Tisch stand und hilflos kicherte. Dieses Jahr aber war es anders. Todd und ich hatten gemeinsame Pläne. Wir wollten zusammen einen Weihnachtsbaum besorgen, an Neujahr wegfahren, vielleicht sogar gemeinsame Entscheidungen treffen. Ich blickte dem kommenden Jahr voller Zuversicht entgegen.
    Dann musste ich wieder an Holly denken. Ihr Weihnachten würde dieses Jahr ziemlich seltsam ausfallen. Ich hatte mit Charlie darüber gesprochen, und er sagte mir, dass Hollys Mutter nach der Entlassung ihrer Tochter noch einige Zeit bleiben wolle, bis sie sich zu Hause wieder einigermaßen zurechtfand. Seine Mutter würde ebenfalls für ein paar Tage kommen. Naomi hatte angeboten, das Weihnachtsessen für sie zu kochen. Arme Holly, dachte ich. Während sie apathisch in ihrem Krankenbett lag, diskutierten rundherum alle über sie und schmiedeten über ihren Kopf hinweg Pläne.
    Ich hatte Holly immer für sehr mutig gehalten, für die mutigste Person, die ich kannte, aber nun peinigte sie Angst. Ich fragte mich, ob sie sich mehr vor dem Chaos in ihrem Inneren fürchtete – all den seltsamen, quälenden Dämonen, die sie immer für einen Teil ihrer Persönlichkeit gehalten hatte, nun aber als hässliche Eindringlinge empfand – oder mehr vor der Realität, in die sie bald wieder zurückkehren musste. Wahrscheinlich hatte sie vor beidem Angst, dem Innen und dem Außen, denn sie konnte beiden Welten nicht entkommen. Sie fand selbst im Schlaf keine Ruhe, weil Alpträume sie quälten. Ich hatte noch nie für einen Menschen so viel Mitleid empfunden wie nun für Holly und mich auch noch nie für jemanden so verantwortlich gefühlt. Es kam mir vor, als hätten wir die Grenzen einer normalen Freundschaft überschritten, sodass sie für mich inzwischen eher so etwas wie eine Tochter, Schwester oder Mutter war, eigentlich alles in einer Person. Die Verantwortung für sie lastete so schwer auf mir, dass ich sogar an sie dachte und mir ihretwegen Sorgen machte, wenn ich mit Todd zusammen war. Und Pläne schmiedete. Pläne wie meinen heutigen, von dem ich nicht einmal Todd erzählte, weil ich wusste, dass er ihn dumm finden würde.
    »Was ist los?«, fragte er. »Du schaust so sorgenvoll.«

    »Wirklich? Ich weiß gar nicht, warum.«
    »Woran hast du gerade gedacht?«
    »Ach, nichts.«
    »Meg, ich bin nicht blind. Sag es mir.«
    »Ich glaube, ich sollte es dir lieber nicht erzählen, weil es sich dabei um eine Privatangelegenheit von Holly handelt.«
    »Oh. Holly. Das hätte ich mir denken können.«
    Der Rest des Abends verlief etwas kühl. Als wir schließlich nebeneinander im Bett lagen, berichtete ich ihm doch noch von Hollys Schulden, meinem Ausflug in den Golfklub und meinem Besuch bei den Cowden Brothers.
    »Weißt du,

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