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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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sagten sie, so schön, so stark. Ich bewunderte ihn, weil er machte, was er wollte, weil er in seinem Haus, seinem Dorf, in meinem und in anderen Dörfern nach Belieben ein und aus ging, weil weder die Guardia Civil noch das Militär mit ihm fertigwurden. Sein Kopf war der teuerste in der ganzen Provinz Jaén, doch statt sich zu grämen, quittierte Cencerro die Erhöhung des Kopfgeldes mit noch höheren Trinkgeldern, Geldscheinen von fünfzig, hundert und sogar fünfhundert Peseten, die er mit seinem Namen unterschrieb. Sie tauchten nirgendwo auf, wer sie hatte, versteckte sie wie einen Schatz oder verkaufte sie an Leute weiter, die bereit waren, mehr als den tatsächlichen Wert dafür zu zahlen, bloß weil sie von dem Größten signiert waren, dem Albtraum der Bürger, der Legende der Berge. »So zahlt Cencerro.« Und so zahlte er, so entschädigte er seine Leute für das Leid, die Verfolgung, die Razzien und die Prügel, die sie einstecken mussten, weil sie den Mund nicht aufmachten, höchstens um zu lügen: Ja, das ist er. Und am nächsten Tag erschien auf dem Titelblatt der Zeitungen das Foto eines Toten mit der Schlagzeile: »Guardia Civil erschießt gefährlichen Banditen«. Während Vater, Romero und Sanchís sich verzweifelt die Haare rauften, stolzierte der dumme Leutnant, der aus Málaga stammte, mit einem idiotischen Grinsen durch die Straßen von Fuensanta de Martos, doch er hatte weder das Gesicht von Tomás Villén jemals gesehen noch das seiner Brüder, seiner Frau oder seiner Tochter Virtudes, die sich als Schäferin ausgab, um wie ihr Vater den Berg hinauf- und hinabzusteigen, wann immer sie wollte. Und jeder wusste, dass sie ihn einmal mehr für dumm verkauft hatten und der Tote in den Zeitungen nicht Cencerro war. Die Gesichter der Toten auf den Fotos hatten nicht einmal entfernte Ähnlichkeit mit Cencerro. Das Ganze war alles andere als lustig, doch Cuelloduros Stammgäste lachten sich krumm und dämlich und sangen zweistimmig die verbotene Version eines Liedchens mit einem dämlichen Text, das damals in ganz Spanien in Mode war, aber in der Sierra Sur noch subversiver war als die Internationale.
    »Also.« Der Wirt räusperte sich und hob die Hände, um hinter dem Tresen verschanzt den Chor zu dirigieren. »Auf drei. Eins, zwei, drei. Tengo una vaca lechera …«
    »Lechera« , antwortete die zweite Stimme.
    »No es una vaca cualquiera …«
    »Cualquiera.«
    »Se pasea por el prado, mata moscas con el rabo, tolón, tolón« , und da vereinten sich beide Stimmen, »tolón, tolón …«
    Manchmal hatten sie nicht einmal Zeit, die zweite Strophe zu beenden, die den albernen Text in eine Waffe verwandelt hatte, in eine Hymne, ein Liebeslied für einen legendären Mann, dem man den Spitznamen Cencerro gegeben hatte: Kuhglocke.
    »Un cencerro le he comprado.«
    »Comprado.«
    »A mi vaca le ha gustado.«
    »Gustado …«
    »Se pasea por el prado …« *
    Die Zeit, die ein Spitzel brauchte, um von Cuelloduros Bar zur Kaserne der Guardia Civil zu laufen, die am meisten benutzte Strecke im Ort, gab nicht mehr her. Deshalb stand wenig später entweder Michelin, Sanchís, Romero oder Vater mit der Hand auf dem Pistolenknauf und vor Wut bebenden Lippen in der Bar.
    »Ruhe!« Er blickte sich um, als stellten die Sänger eine ernste Bedrohung dar.
    »Con el rabo …«
    »Ruhe, hab ich gesagt! Habt ihr nicht verstanden?«
    Bevor Enrique Fingenegocios in die Berge ging, war er einmal bis zum zweiten tolón, tolón gekommen, woraufhin Sanchís die Pistole gezogen und in die Decke der Kneipe gefeuert hatte. Cuelloduro hatte sich zwar geweigert, das, was er als Kriegsversehrung seines Lokals bezeichnete, zu reparieren, aber seitdem hörten seine Stammgäste erheblich besser.
    »Ihr wisst genau, dass dieses Lied verboten ist!«
    »Wie kann es verboten sein«, erwiderte der Dirigent des Chors hinter dem Tresen. »Es läuft doch von morgens bis abends im Radio.«
    »Ist mir egal! Wenn ich es noch ein einziges Mal höre, wandert die ganze Kneipe ins Gefängnis. Ich habe euch gewarnt.«
    Und wenn er sich anschließend rückwärts hinausbewegte, um sie im Auge zu behalten, kehrte das Lächeln verstohlen auf die Lippen derer zurück, die wenige Minuten später diese düstere, lächerliche Szene im ganzen Dorf verbreiten würden. Die geballte Macht der Guardia Civil gegen La vaca lechera , das viele Einwohner von Fuensanta weiter pfeifen und trällern würden und sich dabei krummlachen, wenn auch nur, weil sie keine

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