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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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Tränen mehr hatten und es gut fanden, dass Cencerro von den Bergen aus auf die Guardia Civil spuckte.
    Manchmal war es mehr als nur spucken, und auch das wusste ich, weil ich dann mit zu den Beerdigungen musste. Die toten Männer der Guardia Civil hinterließen Waisen und Witwen. Aber es starben auch andere Menschen. Dann schloss uns Mutter zu Hause ein und ließ uns nicht einmal in den Hof hinaus. Denn dann fand eine andere Art von Beerdigung statt, und ich fragte nie, ob Vater etwas damit zu tun hätte. Ich dachte lieber nicht daran, weil die anderen noch viel mehr waren und wie die Fliegen starben, mit einer Kugel im Rücken, immer unbewaffnet und immer hinterrücks getötet wurden, und weil man später sagte, sie hätten versucht zu fliehen. Aber das hatte nie jemand gesehen, gehört oder gar bewiesen. Es war besser, nicht daran zu denken, weil ich aus den Romanen, die Curro bei der Piriñaca kaufte, bereits gelernt hatte, dass mutige Männer nur von Angesicht zu Angesicht töten, dass es feige ist, auf Unbewaffnete zu schießen, und noch feiger, sie hinterrücks abzuknallen. Doch in meinem Dorf wurden alle so getötet, bis auf Laureano, Pesetillas Sohn, der erst siebzehn und dessen einzige Waffe seine Zunge gewesen war. Aber er hatte sich umgedreht und sie angeschrien, sie sollten ihm in die Augen blicken, als sie ihn erschossen, als wüsste er, dass er so oder so sterben musste.
    Das alles weiß ich, weil wir gerade zu Abend aßen und das Geschrei hörten, die heisere, vor Wut verzerrte Stimme eines erwachsenen Mannes. »Es lebe die Republik, soll Franco verrecken, nieder mit den Falan…« Es folgte ein Schuss, dann noch einer, und schließlich war es still. Vater stand auf, um nachzusehen, was geschehen war, während Mutter murmelte, als würde sie beten: »Der war nicht von hier, nicht von hier, diese Stimme kenne ich nicht, er kann nicht von hier sein.« Aber als er zurückkam, war Vaters Gesicht blass, und er hatte einen Namen auf den Lippen, Laureano. Sie sagte: »Nein, nein, das kann nicht sein, Laureano ist noch ein Kind, er kann keine Erinnerung an die Republik gehabt haben, nicht mal an den Krieg, niemals …« Vater sah sie an und sagte nichts. Wahrscheinlich dachte sie dasselbe wie er, dasselbe wie Dulce, dasselbe wie ich, nämlich dass es kaum ein Jahr her war, dass sein Vater Pesetilla auf der Flucht hinterrücks erschossen worden war und dass noch am selben Abend sein Sohn Elías zusammen mit Arturo Salsipuedes, seinem Cousin Juan el Pirulete und dem Mann seiner Schwester Fernanda, Nicolás Saltacharquitos, in die Berge gegangen war. Daran konnte sich Laureano sicherlich erinnern, und auch Dulce und Vater und ich. Selbst Mutter erinnerte sich, denn sie sah ihren Mann an und sagte etwas, was mich wirklich beeindruckte.
    »Das wird nie zu Ende gehen, Antonino, hörst du? Nie. Für jeden einzelnen, den ihr tötet, gehen sieben in die Berge, und wenn ihr die sieben getötet habt, gibt es da oben bereits vierzehn neue …«
    Er sagte, sie solle den Mund halten, doch sie schüttelte den Kopf, weil sie noch nicht fertig war.
    »Dieser Krieg ist schlimmer als der andere, Antonino, wir werden noch alle umkommen, glaub mir. Und wenn wir tot sind, ist das hier immer noch nicht zu Ende.«
    Anschließend fuhren wir nach Almería, und kurz danach, als das Tauwetter einsetzte, erschossen Cencerros Leute in einem Hinterhalt Sanchís’ Kollegen, einen Gefreiten namens Martínez, der eine Frau, zwei Kinder und einen Ausweis der Falange hatte, mit dem er allzu gern angab, wie alle bei der Guardia Civil meinten, bis auf Sanchís. Als wir am Tag der Beerdigung zur Kirche gingen, lehnte Laureanos Mutter, von Kopf bis Fuß in Schwarz, mit verschränkten Armen an der Tür ihres männerlosen Hauses und starrte uns an. Und als wir zurückkehrten, stand sie immer noch da und sah aus, als hätte sie in der ganzen Zeit, die die Messe gedauert hatte, nicht mal mit der Wimper gezuckt. Sie sagte kein Wort, zeigte nicht die geringste Regung, starrte uns nur mit verschränkten Armen an, ohne zu weinen, ohne zu lächeln, ohne sich zu rühren. In ihren Augen, die so versteinert waren wie die einer Statue, hatte alles Platz: eine ganze Welt voller Liebe und Hass, Schmerz und Groll, Schwäche und Stärke, Verzweiflung, Überzeugung, Glaube und Rache. Damals, bevor Izquierdo Martínez’ Posten übernahm, dachte ich, dass Mutter recht hatte, dass dies ein Krieg war, der nie enden würde, denn er könnte nur enden, wenn Cencerro aus

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