Der Feind meines Vaters - Roman
Gott sei Dank … Der Leutnant musste natürlich hin, mit Sanchís und Izquierdo, schließlich sind sie die Vorgesetzten, aber dein Vater ist wohl drum herumgekommen. Ich glaube, er patrouilliert irgendwo draußen vor dem Dorf.«
Am 17. Juli wurde die Schlacht fortgesetzt. Im Morgengrauen rollten die Angreifer erneut Benzinfässer und Dynamitstangen an die Fassade des Nachbarhauses, und dann ging alles von vorne los, Explosionen, Flammen, Schutt. Auch die Schüsse und die Ratlosigkeit, die langsamen Reflexe, die Cencerro schon so oft die Flucht ermöglicht hatten. Hinter dem Nachbarhaus gab es einen Hof und dahinter eine Höhle im Felsen ohne Ausgang, zu der eine Spur aus grünen Papierschnipseln führte. Doch auch das begriffen sie anfangs nicht, und als der Groschen endlich fiel, konnten sie es kaum fassen. Sie traten auf einhundertfünfzigtausend Peseten, auf einhundertfünfzig Geldscheine, jeder in sechzehn Teile zerrissen, die Passierscheine, die Cencerro und Crispín niemals nach Frankreich bringen sollten, die nun aber auch nicht mehr dazu dienen würden, den Dreckskerl zu bezahlen, der sie verraten hatte, oder Cencerros Tod mit Champagner zu begießen.
»Mutter sagt, du sollst aufstehen, es ist schon nach elf.«
»Ja, gleich.« Ich drehte mich auf die andere Seite, doch Dulce hörte nicht auf, mich zu schütteln. »Ja, schon gut. Ich stehe gleich auf … Weiß man schon etwas?«
»Nein, noch nicht. Vater ist sehr spät gekommen, erst kurz vor vier, er hat sich hingelegt, bis acht Uhr geschlafen und ist dann wieder los, aber von Cencerro weiß man nichts.«
Die Schießerei dauerte noch ein paar Stunden und hörte dann mit einem Mal auf, als sie schon die nächsten Fässer mit Benzin und Dynamit bereithielten. Der Weg schien frei, trotzdem wagte es niemand, die Höhle zu stürmen. Sie waren sicher, dass die Männer im Innern noch lebten und es ein Trick war. Auch darin irrten sie. »Es lebe die Republik!«, schrien zwei Stimmen aus der Höhle, bevor sie zu singen begannen, Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt! Als Cencerro und Crispín die Internationale anstimmten, platzte dem Oberst der Kragen. In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er die Schlacht verloren hatte, noch ehe er sie gewonnen hatte, denn manche Tote sind mehr wert als viele Leben zusammen. Er wusste, dass Cencerro und Crispín in den Tod gingen, dass sie sich verabschiedeten, aber auch, dass es ihm nicht gelungen war, sie zu vernichten. Er hatte nicht verhindern können, dass viele Kinder nun Tomás heißen und Brüder namens José Crispín haben würden. Früher oder später würden sie erfahren, warum sie so hießen. Er hätte nicht erlauben dürfen, dass seine Feinde über ihren Tod selbst bestimmen konnten, doch er hatte es auch nicht verhindern können. Deshalb tat er das einzige, was er tun konnte: Er befahl seinen Männern, nach Belieben zu feuern, verpasste allerdings den richtigen Zeitpunkt. Er hatte diese Hymne nie gehört und befahl zu früh, das Feuer einzustellen, sodass er noch die letzte Strophe des Refrains zu hören bekam und anschließend zwei weitere Schüsse, die durch die Höhle hallten statt nach draußen, denn sie galten nicht mehr seinen Männern.
»Aber ich habe Hunger, Mutter.«
»Dann musst du dich gedulden. Du hättest früher aufstehen sollen.«
»Gib mir ein Stück Brot, auch ohne Butter, wenn es sein muss.«
»Ich habe nein gesagt! Der Eintopf kocht bereits. Siehst du es nicht? Wenn du dich jetzt vollstopfst, hast du nachher keinen Appetit, und du musst vernünftig essen, weil du in einem Alter bist, in dem man noch wächst. Trink deine Milch und geh.«
»Ach ja? Wohin denn, wenn ich nicht einmal in den Hof darf?«
Die Leichen von Tomás Villén Roldán und José Crispín Pérez lagen am Ende der Höhle nebeneinander vor der Wand. Sie hatten die Arme umeinandergelegt, bevor sie sich die letzten Kugeln in den Kopf gejagt hatten. Die Guardia Civil konnte nur noch ihre von zerfetzten Scheinen und leeren Magazinen umgebenen Körper bergen, und da sie sonst nichts hatte, machte sie das Beste aus ihrer Beute. Zuerst schaffte man die Leichen auf den Dorfplatz von Valdepeñas und spritzte die Köpfe der Getöteten vor den Augen der Einwohner mit einem Wasserschlauch ab, damit niemand an ihrer Identität zweifeln konnte. Anschließend durchsuchte einer der Falangisten des Dorfes unter dem wohlgefälligen Blick der Guardia Civil Cencerros Taschen, auf der Suche nach einer
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