Der Feind
so mächtigen Mann wie Muhammad bin Rashid zu einem gefährlichen Platz geworden.
Der Prinz nahm die Hand des Mannes, der vor ihm kniete, und überlegte gut, wie er ihm antworten sollte. Er war sich bewusst, dass die kühne Bitte sowie seine Reaktion darauf noch vor Sonnenuntergang im ganzen Land und möglicherweise darüber hinaus verbreitet werden würde. Das Königshaus Saud war heute in sich gespalten. Brüder waren untereinander verfeindet, und Rashid wusste, dass er sehr vorsichtig sein musste. Es waren bereits einige Mitglieder der königlichen Familie getötet worden, und es würden ihnen noch viele ins Grab folgen, bevor der Kampf vorüber war. Sein größter Widersacher war der König selbst, ein schwacher Führer, der sich allzu oft den Wünschen der Amerikaner beugte.
Rashid verzichtete auf eine große Geste, wie sie in seiner Kultur in einer derartigen Situation üblich gewesen wäre. »Du sollst nicht von solchen Dingen sprechen, Saeed«, antwortete er vorwurfsvoll. »Ich weiß, wie schwer dich der Verlust deines Sohnes getroffen hat, aber du darfst nicht vergessen, dass Allah mächtig und die Rache sein ist.«
»Aber wir sind doch Werkzeuge Allahs«, entgegnete der Mann zornig, »und ich verlange meine eigene Rache. Ich habe ein Recht darauf.«
Der Prinz blickte von dem schmerzerfüllten Gesicht seines alten Freundes auf, der vor ihm kniete, und befahl seinen Gehilfen, den Saal räumen zu lassen. Dann streckte er die Hand aus und berührte einen Mann, der rechts neben ihm saß, am Knie, um ihn zum Bleiben aufzufordern.
Als der Saal leer war, sah der Prinz seinen Freund mit strenger Miene an. »Es ist eine sehr ernste Bitte, die du mir da zu Füßen legst«, sagte er.
Saeed Ahmed Abdullah hatte Tränen in den Augen. »Die Ungläubigen haben meinen Sohn getötet. Er war ein guter Junge.« Er wandte sein schmerzerfülltes Gesicht dem Mann zu, den Rashid aufgefordert hatte zu bleiben – Scheich Ahmed al-Ghamdi, den geistlichen Führer der Großen Moschee in Mekka. »Mein Sohn war ein wahrer Gläubiger, der dem Aufruf zum Dschihad folgte. Er hat alles geopfert, während so viele andere die Hände in den Schoß legen.« Saeed blickte sich im großen Saal um, wie um seinen Zorn auch gegen die Angehörigen der privilegierten Schicht zu richten, die große Reden führten und mit Geld um sich warfen, aber davor zurückscheuten, ihr Blut hinzugeben. Er war so versunken in seinem tiefen Schmerz, dass ihm gar nicht aufgefallen war, dass alle anderen hinausgegangen waren.
Scheich Ahmed nickte zustimmend. »Wahid war ein tapferer Krieger«, bestätigte er.
»Sehr tapfer«, fuhr Saeed fort und wandte sich wieder seinem alten Freund zu. »Wir kennen uns schon sehr lange. Habe ich dich je mit nebensächlichen Bitten belästigt?«
Rashid schüttelte den Kopf.
»Ich würde dich heute nicht mit dieser Sache behelligen, wenn diese Feiglinge in Riad meine einfache Bitte erfüllt und den Amerikanern die Stirn geboten hätten. Ich wollte doch nur, dass man mir die Leiche meines jüngsten Kindes zurückbringt, damit ich es angemessen bestatten kann. Stattdessen sagt man mir, dass dieser Ungläubige meinen Sohn absichtlich der Schande preisgegeben hat, um ihm das Paradies vorzuenthalten. Was soll ich in einer solchen Situation tun?«
»Was genau erwartest du von mir?«, fragte Rashid seufzend.
»Ich will, dass du einen Mann für mich tötest, nicht mehr und nicht weniger. Auge um Auge.«
Der Prinz musterte seinen Freund bedächtig. »Das ist keine geringe Bitte.«
»Ich würde es ja selbst tun«, fuhr Saeed rasch fort, »aber ich habe keine Erfahrung in solchen Dingen, während du, mein alter Freund, viele Kontakte in der Welt der Spionage hast.«
Rashid hatte acht Jahre lang das Amt des Innenministers innegehabt und war dabei für die Polizei und die Geheimdienste verantwortlich gewesen. Nach dem Anschlag vom elften September hatte ihm jedoch sein Halbbruder, der Kronprinz, das Amt entzogen, nachdem die Amerikaner Druck auf ihn ausgeübt hatten. Ja, Rashid verfügte über die entsprechenden Kontakte, und er wusste auch schon, wem er die Aufgabe übertragen würde. »Wer ist der Mann, den du töten lassen willst?«
»Sein Name ist Rapp … Mitch Rapp.«
Der Prinz ließ sich seine Freude nicht anmerken. Rashid hatte seit Monaten auf diesen Augenblick hingearbeitet. Es hatte damit begonnen, dass sein Freund ihn gebeten hatte, herauszufinden, was mit seinem Sohn geschehen war, der das Land verlassen hatte, um in
Weitere Kostenlose Bücher