Der ferne Spiegel
gewöhnlich ärmer nach Hause, als er aufbrach. Kam er nicht zurück, hinterließ er nicht selten ein geschmälertes Besitztum, da die Kreuzzüge außer dem ersten weder siegreich noch gewinnbringend waren. Die einzige Möglichkeit, das auszugleichen – da Landverkauf undenkbar war –, war der Verkauf von städtischen Rechten oder die Verwandlung von Dienstverpflichtungen und Frondiensten in Pacht. In der aufblühenden Wirtschaft des 12. und 13. Jahrhunderts brachten die Profite aus Handel und Ackerbau den Bürgern und Bauern die Mittel, um Freiheiten und Rechte durch Kauf zu erwerben.
In Enguerrand III. [Ref 12] , genannt der Große, Erbauer der neuen Burg und des Hauptturms, tauchte die Maßlosigkeit der Coucys wieder auf. Von 1191 bis 1242 ließ er Burgen und Befestigungsanlagen auf sechs seiner Güter neben Coucy erbauen, einschließlich dem von St. Gobain, das fast so groß wie Coucy war. Er nahm an dem Gemetzel des Albigenserkreuzzugs teil und an jedem anderen Feldzug, der ihm nur irgendwie erreichbar war. Wie sein Großvater Thomas kämpfte er auch gegen die Diözese von Reims, eine Auseinandersetzung, die aus einem Streit über feudale Rechte erwuchs. Er wurde angeklagt, die Ländereien der Diözese geplündert, die Bäume gefällt, ihre Dörfer besetzt, sich gewaltsam Zugang zur Kathedrale verschafft, den Dekan in Ketten gelegt und die Geistlichkeit an den Bettelstab gebracht zu haben.
Als der Erzbischof von Reims 1216 Beistand beim Papst erflehte, wurde Enguerrand III. ebenfalls exkommuniziert, und den Priestern wurde befohlen, die Gottesdienste abzubrechen, wenn Enguerrand auftauchte. Eine Person unter dem Bann war von den Sakramenten ausgeschlossen und zur Hölle verdammt, bis sie ihre Taten bereute und von ihnen losgesprochen wurde. In schwerwiegenden Fällen konnte nur der Bischof und in einigen Fällen sogar nur der Papst den Bann aufheben. Während er in Kraft war, mußte der örtliche Priester den Fluch zwei- oder dreimal jährlich vor der
Gemeinde im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes, aller Apostel und im Namen aller Heiligen aussprechen; dabei sollte die Totenglocke ertönen, die Kerzen mußten gelöscht werden, Kreuz und Meßbuch auf dem Boden liegen. Eigentlich sollte der Schuldige von allen sozialen Beziehungen isoliert werden, aber die Unannehmlichkeiten für alle Beteiligten waren so groß, daß sich die Nachbarn entweder darauf verlegten, sein Haus mit Steinen zu bewerfen, um ihn zur Reue zu bewegen, oder den Bann zu ignorieren. Im Falle Enguerrands III. war die Einstellung der Gottesdienste ein schrecklicher Urteilsspruch für die Gemeinden. Schließlich machte Enguerrand 1219 seinen Frieden mit der Kirche, nachdem er Buße getan hatte. Das aber milderte nicht seinen weltlichen Machtanspruch; er baute weiter seine mächtige Burg aus, die ihren Schatten bis nach Paris warf.
Die Eile, mit der er den Bau vorantrieb, ging auf die Erwartung zurück, einen Feldzug gegen den minderjährigen König Ludwig IX. zu führen, den späteren Ludwig den Heiligen. Enguerrand führte eine Liga von Baronen gegen die Krone und hegte nicht zuletzt, wie einige sagten, eigene Ambitionen auf den Thron. Durch seine Mutter, Alix de Dreux, die von Philipp I. abstammte, hatte er königliches Blut in den Adern. Der Hauptturm seiner Burg sollte den königlichen Turm des Louvre überragen als Zeichen seines Trotzes und seines Anspruchs. Aber die Mutter des Infanten widerstand der Bedrohung, obwohl der Herr von Coucy eine Kraft blieb, mit der gerechnet werden mußte. Durch Heiraten häufte dieser weiterhin Reichtümer und internationales Ansehen an. Seine erste und seine dritte Frau stammten aus benachbarten Adelsfamilien und brachten zusätzliches Eigentum in der Picardie in die Ehe. Seine zweite Frau war Mathilde von Sachsen, Tochter von Heinrich dem Löwen, Herzog von Sachsen, sie war Enkelin Heinrichs II. von England und Eleonores von Aquitanien, Nichte von Richard Löwenherz und Schwester Ottos von Sachsen, des späteren Kaisers des Heiligen Römischen Reiches. Enguerrands Tochter aus einer dieser Ehen heiratete Alexander II., König von Schottland.
Bei der Erbauung von Coucy beschäftigte Enguerrand etwa achthundert Steinmetzen, unzählige Ochsengespanne, um die Steine vom Steinbruch zum Bauplatz zu ziehen, und ungefähr
achthundert weitere Handwerker, so z. B. Schreiner, Dachdecker, Schmiede, Anstreicher und Tischler. Über dem Tor zum Hauptturm wurde eine Reliefskulptur von einem mit einem
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