Der Feuerstein
sich gegen den Altar sinken. »Woran denkt Ihr?«
Die Vorbereitungen gehen rasch. Ich ziehe das Amulett unter meinem Hemd hervor und sehe Vater Nicandro an, der eine Zeremonienrose holt. Er deutet zum Altar.
»Nein«, sage ich. »Wir sollten es im Garten tun, wo niemand unverhofft dazukommen kann.«
Er zögert nur kurz, bevor er mich hinter den Altar und durch eine Tür nach draußen führt. Der Klostergarten ist winzig, mit einem dreistöckigen Marmorspringbrunnen und
einer Bank, die gerade für zwei reicht. Wir setzen uns; hinter uns ranken an einem Gitter die Triebe der Sakramentsrose empor. Der Rosenbusch trägt gerade keine Blüten, und so sind die langen Dornen scharf und klar zu sehen.
Gemeinsam singen wir das »Glorifica«. Ich lege die Fingerspitzen meiner rechten Hand auf den Feuerstein, die der linken auf das Amulett. Auch das ist ein Feuerstein, rufe ich mir in Erinnerung. Nicht zum ersten Mal grüble ich darüber nach, wer ihn getragen haben mag. Hat er sich im Augenblick ihres Todes aus ihrem Nabel gelöst? Hat sie sich willentlich von ihm getrennt, oder hat ihn ein Animagus aus ihrem Bauch gerissen, während sie vor Schmerz schrie?
Nicandro beugt meinen Kopf, bis unsere Nasen sich beinahe berühren. »Was ist Euer Begehr?«
Ich hole tief Luft, dann lege ich die ganze Sehnsucht meiner Seele in meine Bitte. »Ich begehre den Sieg über meine Feinde.«
Der Stich ist tief und schmerzhaft. Der erste Tropfen quillt sofort über den Dorn, und als der Priester seine Rose von meinem Finger wegzieht, folgen schnell drei weitere. Sie tropfen und perlen auf die harte Erde.
Während der trockene Boden mein Blut trinkt, bete ich. Mit meinem Innersten taste ich ganz tief unter die Erdkruste. Ich stelle mir vor, dass das Amulett auf meiner Brust durch Hexerei erglüht. Ich konzentriere mich so sehr, dass ich alles um mich herum vergesse, den ummauerten Garten, Vater Nicandro, den klaren Wüstenhimmel über uns – alles verliert sich im Dunst unbedingten Wollens und einer Hitze, wie sie durch inbrünstige Gebete entsteht.
Aber nichts geschieht.
Nach einer Weile blinzele ich den Priester mit einem Auge an.
»Vielleicht braucht Ihr mehr Blut?«, fragt er skeptisch.
Alle Luft weicht mit einem enttäuschten Seufzer aus meinem Körper. »Wenn das der richtige Weg gewesen wäre, müsste ich zumindest etwas gespürt haben. Ich weiß, ich bin keine Hexenmeisterin, aber ich habe einen lebenden Feuerstein in mir! Ich sollte doch in der Lage sein, irgendetwas zu bewegen!«
Er legt mir einen Arm um die Schultern. »Vielleicht geht es in der Prophezeiung nicht darum, dass Ihr etwas tut«, raunt er. »Vielleicht sind alle Träger gemeint.«
Ich lehne meinen Kopf gegen seine Schulter. »Ist das die seltsame Idee, von der Ihr mir erzähltet? Die, die Ihr nicht erklären konntet?«
Er seufzt in mein Haar. »Ja. Ja, das ist sie.«
Als ich in meine Räume zurückkehre, ist mir vor Hilflosigkeit beinahe schlecht. Die Flure sind still und leer, meine Schritte übermäßig laut. Es stimmt, was Hector gesagt hat, wir dürfen nicht riskieren, dass Invierne meinen Feuerstein in die Hände bekommt. Aber ich hasse es, mich so nutzlos zu fühlen. Ich möchte an der Stadtmauer sein, bei den anderen, Wassereimer schleppen und alles für die Verwundeten vorbereiten.
Wie lange wird es dauern, bis die Animagi ihre Kraft zurückgewonnen haben und wieder angreifen? Eine Stunde? Einen Tag? Die Belagerung wird nur kurz sein, davon bin ich jedenfalls überzeugt. Mein Herz verkrampft sich, wenn ich an meine tapferen Malficio denke, an die Risiken, die sie
eingegangen sind, die Toten, die wir zu beklagen hatten. Alles umsonst, denn schließlich zielte meine brillante Strategie darauf ab, dass es eine lange Belagerung gäbe, die unseren Feind schließlich verletzlich machen würde.
Die Vorstellung, dass Humberto umsonst gestorben sein könnte, ist unerträglich.
Rosario und Mara haben sich auf meinem Bett aneinandergeschmiegt. Ximena sitzt neben dem leeren Kamin und näht einen Rock.
»Was ist passiert, Elisa?«, fragt Mara ausdruckslos, als sie mein Gesicht sieht.
»Die Animagi haben angegriffen. Wir konnten sie aufhalten.«
»Papá wird sie alle töten«, sagt Rosario.
Ximena und ich wechseln einen traurigen Blick. Dann lasse ich mich neben ihm aufs Bett fallen und umarme den Jungen fest, aber er entwindet sich meinem Griff und sieht mich empört an.
Ich spiele mit meinen Amuletten – dem toten Feuerstein und dem
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