Der Feuerstein
Entfernung
lässt mich der Anblick der schwarz-weißen Spiralen auf ihren Körpern erschaudern.
»Hector«, flüstere ich entsetzt, als ich begreife. Die Pferde wurden nicht ganz aus Invierne hierhergebracht.
Er beugt sich zu mir herunter, sodass ich ihm ins Ohr flüstern kann.
»Das sind keine Inviernos. Das sind Perditos.«
Er nickt ernst. »Ja. Wir hatten schon lange den Verdacht, dass sie sich miteinander verbündet haben.«
»Sie sind hier, um uns auszuhungern, bevor das Heer Inviernes tatsächlich in der Stadt eintrifft.«
»Ich fürchte, so ist es.«
Wir stehen lange Zeit auf dem Belagerungsturm. Lord Hectors Augen nehmen ein gefährliches, hartes Schimmern an, sein Gesicht ist starr und entschlossen. Es ist, als sei er in tiefer Meditation über ein bestimmtes Ziel versunken, als ob er etwas in sich aufstaut. Ich bete nur.
Die Perditos kesseln uns in unserer eigenen Stadt ein. Alejandro, Hector und General Luz-Manuel verbringen die nächsten Tage damit, die Rationierung der Nahrungsmittel zu planen und dafür zu sorgen, dass genug Wasser bereitsteht, um auf das Feuer der Inviernos vorbereitet zu sein. Während sie damit beschäftigt sind, suchen Rosario und ich nach den Feuersteinen.
Es dauert nicht lange, und man trägt mir zu, dass Seine Hoheit auf geradezu unnatürliche Weise davon besessen sei, in Schmutz zu wühlen. Mindestens einmal am Tag erwischt ihn jemand mit einem umgekippten Blumentopf und einem Haufen feuchter Erde. Ich höre mir all diese Klagen mit angemessen
ernster Miene an, und sobald sich die Tür wieder geschlossen hat, überschütte ich meinen kleinen Prinzen mit Lob. Dennoch schwindet seine Begeisterung für diese Aufgabe allmählich. Beinahe hätte ich schon eine offizielle Suche im ganzen Palast angeordnet, doch die Erinnerung an Beléns Verrat hält mich davor zurück. Ich weiß noch immer nicht, wem ich vertrauen kann. Und auf keinen Fall dürfen die Falschen von den verschwundenen Feuersteinen erfahren.
Die Truppen, die mein Vater Alejandro im Gegenzug für meine Heirat versprochen hat, treffen auf drei großen Schiffen ein. Hector und Hauptmann Lucio bringen sie in kleinen Gruppen durch die Abwasserkanäle, die von den Klippen zur Stadt führen, nach Brisadulce hinein. Nach ihrer Ankunft streife ich durch ihr Lager und suche nach vertrauten Gesichtern. So viele Dinge erinnern mich an Orovalle: der würzige Geruch geölten Leders, das gestickte Sonnenwappen der de Riquezas auf den Schärpen, die weiten Oberkleider, die alle Soldaten Orovalles tragen, wenn sie nicht die komplette Kriegsausrüstung angelegt haben. Nach einer Weile muss ich mir eingestehen, dass ich eigentlich nach Papá oder sogar nach Alodia Ausschau halte, und ich mache mich wieder davon in dem Gefühl, mich närrisch verhalten zu haben.
Die Soldaten sind gerade noch rechtzeitig gekommen. Schon am nächsten Tag zeigt sich die erste Welle der riesigen Armee Inviernes am schimmernden Wüstenhorizont. Die Perditos grüßen ihre Verbündeten mit wilder Begeisterung, sie schreien, reiten im Kreis und schießen Pfeile in die Luft. Ich stehe neben Hector oben auf der Mauer, und wir sehen zu, wie sie näher rücken. In diesen ersten Augenblicken verfallen die Truppen von Orovalle und Joya
d’Arena in ehrfürchtiges Schweigen. Der Feind ist so zahlreich, die Krieger sind barfüßig, farbenprächtig und wirken kaum menschlich.
Auch ich bleibe ganz still, aber das hat einen anderen Grund. Nur zu gut erinnere ich mich daran, wie ich der riesigen Armee zum ersten Mal ansichtig wurde, wie die zahllosen Lagerfeuer die dunklen Hügel erhellten, soweit das Auge reichte. Daher weiß ich, dass diese erste Welle nur ein Bruchteil des Heeres ist, das gegen uns zieht.
Neben mir schlägt Hector mit der Faust auf die steinerne Brüstung. »Ich wünschte, wir wüssten, was sie überhaupt wollen.«
»Sie glauben, sie erfüllen den Willen Gottes«, sage ich leise.
»Indem sie sich einen Seehafen sichern? Indem sie in ein anderes Land einfallen? Indem sie unschuldige Menschen töten? Für welche ihrer Handlungen wollen sie denn wohl Gott verantwortlich machen?«
Etwas an seinem scharfen Ton trifft einen Nerv bei mir. »Sie wollen mich oder vielmehr den Stein, den ich trage.«
»Ja, aber warum?«
»Ich wünschte, das wüsste ich.«
Er sieht mir direkt ins Gesicht. »Sie werden Euch nicht bekommen, Elisa. Nicht, solange ich lebe.« Er wirbelt herum und schreitet davon, den Wehrgang entlang, bis er hinter einer Gruppe
Weitere Kostenlose Bücher