Der Feuerstein
komme gern.«
Nachdem er sich zurückgezogen hat, sieht Ximena von ihrer Näharbeit auf. Es fasziniert mich immer wieder, wie
unsichtbar sie für Besucher ist. Sie sind Narren, dass sie meine Kinderfrau übersehen, denn ihr entgeht nichts.
»Sei vorsichtig mit den Fünfen, mein Himmel. Sie stehen in dem Ruf, schlau genug zu sein, um sogar Juana-Alodia das Wasser zu reichen.«
Ich werfe ihr einen bösen Blick zu: Sogar sie vergleicht mich mit meiner Schwester. »Denen bin ich gewachsen«, fauche ich sie an.
»Das habe ich ja gar nicht bestritten. Sei nur vorsichtig. Sei schlauer als Alodia.«
Mein Blick senkt sich auf meine Bettdecke, und ich fühle mich schlecht, weil ich an Ximena gezweifelt habe. »Ich werde es versuchen.«
Ximena bleibt lange auf, um meinen Rock fertig zu nähen. Ich lese aus der Scriptura Sancta vor, aber selbst meine Lieblingspassagen können heute kein Feuer in mir entfachen. Immer wieder sehe ich zu meiner Kinderfrau hinüber, und Gereiztheit und warme Zuneigung ringen miteinander in mir, wie sie bis spät in die Nacht über den Stoff gebeugt dasitzt und mit Knöpfen und geraffter Seide kämpft. Sie arbeitet so hart für mich, und ich, ich werde sie in dieser Nacht betrügen.
Endlich legt sie den Stoff zusammen und steht gähnend auf. »Es tut mir leid, mein Himmel, aber ich kann die Stiche schon fast nicht mehr sehen. Ich muss das morgen fertig machen.«
Ich halte ihr Gesicht vor meinem inneren Auge fest, die runden Wangen, die Sorgenfalten an den Schläfen. Inzwischen wünsche ich mir sehr, ich hätte mehr Zeit mit Aneaxi
gehabt, Zeit, mir ihre Züge genau einzuprägen. Schon jetzt verschwimmen ihre lachenden Augen in der Erinnerung, und ich weiß nicht mehr genau, ob sie ebenso groß war wie ich oder doch noch ein klein wenig größer. »Danke, Ximena. Der Rock ist wunderschön.«
Sie kommt an mein Bett und beugt sich über mich, um mich auf die Stirn zu küssen. »Schlaf gut, meine Elisa.«
Glücklicherweise verlischt das leichte Schimmern, das aus ihrem Schlafzimmer ins Atrium dringt, fast sofort, und ich bleibe mit weit aufgerissenen Augen in der kühlen Dämmerung zurück.
Ich warte.
Meine Lider werden schwer, aber die Unruhe hält mich wach. Eine Kerze zum Lesen anzuzünden, wage ich nicht. Nach einer Weile steige ich aus dem Bett und gehe leise in meinen Pantoffeln auf und ab.
Der Klang der Klosterglocken dringt aus einiger Entfernung, aber hell und klar durch den offenen Balkon zu mir herein; es schlägt Mitternacht. Doch ich warte weiter, bleibe an meiner Seite des Atriums stehen und lausche, ob aus Ximenas Gemach noch etwas zu hören ist. Schließlich wickele ich mich in ein langes Gewand und schleiche mich aus der Tür.
Die Flure sind still und düster. Die wenigen Fackeln werfen seltsame Lichtmuster auf den schimmernden Sandstein, und beinahe muss ich lachen; Alejandros monströser Palast ist tief in der Nacht beinahe schön zu nennen. Ich habe schreckliche Angst, entdeckt zu werden. Meine Körperformen sind zweifelsfrei leicht wiederzuerkennen, auch bei einem nur flüchtigen Blick.
Im Geiste schelte ich mich für meine feigen Gedanken.
Ich habe ebenso ein Recht, nachts durch die Flure zu wandeln, wie jeder andere. Sicher würde mir auch schnell eine kluge Ausrede einfallen. Aber trotzdem brennen meine Schenkel von den kontrollierten, vorsichtigen Schritten, und als ich die hölzernen Klostertüren endlich erreicht habe, schmerzt mein Kiefer, weil ich die Zähne so angestrengt zusammengebissen habe.
Auf Zehenspitzen schleiche ich mich zur Bibliothek und warte auf Vater Nicandro. Es dringt gerade genug Mondlicht durch die hohen Fenster, um mir den Weg zum Archiv zu beleuchten, in dem die ältesten Dokumente verwahrt werden. Dort angekommen, setze ich mich auf einen Hocker.
Ich muss nicht lange warten. Ein plötzlicher Schimmer Kerzenlicht lässt mich wissen, dass er da ist. Verblüfft hebe ich den Kopf und staune darüber, wie geräuschlos er sich bewegt.
»Hoheit«, flüstert er. »Ihr habt unsere heiligste Zeremonie genutzt, um mich hierherzubestellen. Nun vermute ich, dass Ihr guten Grund dafür hattet?«
Ich lasse die Schultern hängen. »Es tut mir leid, Vater. Ich hielt es für das Beste, aber …« Mit einem Achselzucken wende ich den Kopf ab; ich kann ihm nicht in die Augen sehen.
Er setzt sich neben mich und stellt den Kerzenhalter zwischen uns auf den Tisch. In dem flackernden Licht sehe ich die uralten Schriftrollen auf den Gestellen an den
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