Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
Vom Netzwerk:
kleine Verletzung pocht schmerzhaft, als wir beide den Finger über den Altar halten, und schnell bildet sich ein dicker Blutstropfen. Er färbt sich braun, als er auf den Stein fällt. Ein kleinerer Tropfen folgt.
    Nicandro zieht meine Hand zurück und lächelt mich entschuldigend an. Ich lächele zurück und bin froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist als ein zu tiefer Dornenstich.
    Während ich beiseitetrete, um mir den Finger baden und bandagieren zu lassen, rückt die hochgewachsene Dienerin auf. Mein Herz klopft vor Aufregung darüber, was ich gerade getan habe. Ich bete, dass Ximena nichts gemerkt hat und dass Vater Nicandro meine Nachricht schnell liest. Ich muss Euch treffen, steht darin. Zur ersten Morgenstunde bei den alten Schriften.
     
    Nach dem Gottesdienst erkläre ich, erschöpft zu sein und mich hinlegen zu wollen. Schließlich werde ich etwas Schlaf auf Vorrat brauchen, damit es mir gelingt, im Dunkeln wach zu bleiben, nachdem sich Ximena in ihr Gemach zurückgezogen hat. Wie ich liest auch sie jeden Abend in der Scriptura Sancta, und es könnten Stunden vergehen, bevor sie ihre Kerzen löscht und schlafen geht.
    Ein Klopfen an der Tür weckt mich aus meinem Schlummer. Ximena, die gerade einige Kleidungsstücke für mich umarbeitet und Röcke und Blusen weiter macht, lässt ihre Näharbeit sinken und erhebt sich.
    Sie öffnet die Tür einen Spalt, aber die Männerstimme, die nun erklingt, ist gedämpft und nicht zu verstehen. »Sie ruht gerade«, antwortet Ximena.
    »Wer ist es?«, flüstere ich vom Bett aus.

    »Einen Augenblick.« Sie wendet sich zu mir. »Es ist General Luz-Manuel. Schon wieder.«
    Mit den Lippen forme ich die Worte: »Ich kann ihn nicht ein zweites Mal abweisen.« Glücklicherweise hat Cosmé ihren freien Tag und sieht daher nicht, wie ich den General empfange. Ich rolle mich vom Bett, und Ximena wirft mir einen Morgenmantel zu, den ich mir um die Schultern lege und am Hals zubinde.
    Verschwörerisch verdreht Ximena die Augen, dann öffnet sie die Tür. »Bitte tretet ein, General.«
    Er stürmt in mein Gemach, als fürchte er, ich könnte es mir noch einmal überlegen, wenn er zu lange zögert. Er ist dünn und geht leicht gebeugt, wird langsam kahl und trägt einen ähnlich sorgfältig geformten Schnurrbart wie Lord Hector und die anderen Leibgardisten.
    Der Gedanke an Lord Hector entlockt mir ein Lächeln. Es wäre schön, ihn wieder einmal zu sehen, denn schließlich ist er einer der wenigen, die seit meiner Ankunft wirklich nett zu mir gewesen sind.
    »Hoheit.« Mein Besucher verneigt sich tief.
    »General Luz-Manuel. Ich muss mich entschuldigen, dass ich nicht besser auf Besuch vorbereitet bin.«
    Meine Entschuldigung wehrt er mit einer Handbewegung ab. »Fühlt Ihr Euch oft nicht wohl, Hoheit?« Besorgnis liegt in seinen Augen.
    »Nach den Gottesdiensten bin ich immer müde«, erwidere ich ganz ruhig. »Empfindet Ihr das Sakrament des Schmerzes nicht auch als eine emotional auslaugende Erfahrung?«
    Er zuckt nur mit den Schultern. »Der Grund meines Besuchs …« Er blickt zu Boden. »Man hat mich beauftragt,
Euch, nun ja, offiziell zur nächsten Quorumssitzung einzuladen.«
    Joya d’Arenas Quorum der Fünf. Alejandros Rat, der aus hochrangigen Edelleuten und Offizieren besteht. Jetzt ist Vorsicht geboten, damit sie mich nicht in seiner Abwesenheit für irgendwelche Manöver missbrauchen.
    »Natürlich würde ich gern zu einer Sitzung kommen. Allerdings weiß ich nicht, inwieweit ich etwas dazu beitragen könnte.«
    Er räuspert sich. Vielleicht stört es ihn, dass er als Botenjunge ausgesandt wurde, oder er ist insgesamt nicht einverstanden mit der Entscheidung, ein Kind ins Quorum zu holen. »Wir beginnen mit den Vorbereitungen für den Krieg gegen Invierne.« Wie schon meine Schwester in ihrem Brief geht auch er davon aus, dass dieser Krieg unvermeidlich bevorsteht. »Es wäre schön, wenn wir beim nächsten Treffen einen Vertreter aus Orovalle in unserer Mitte wüssten.«
    Das ist schlüssig. Wenn das Volk von Joya schon keine Ahnung davon hat, dass ich mit Alejandro verheiratet bin, dann ist sicherlich auch nicht bekannt, dass mein Vater eingewilligt hat, Truppen zur Verstärkung zu schicken. Aber diese Einladung ist genau das, worauf mich Alejandro vorbereitet hat, und daher weiß ich, dass ich mitspielen muss.
    »Wann findet die nächste Sitzung statt?«
    »In sechs Tagen, direkt nach dem Mittagsmahl.«
    Ich schenke ihm mein selbstbewusstestes Lächeln. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher