Der Feuerstein
frohlocken in meinem Retter
Denn er hat an seine bescheidenen Diener gedacht
Gesegnet bin ich unter Generationen
Denn er hat mich errettet aus der sterbenden Welt
Er hob mich empor mit seiner rechtschaffenen rechten Hand
Er hat sein Volk befreit, ihm neues Leben in Fülle geschenkt
Meine Seele preist Gott, lass sie frohlocken in meinem Retter.
Strahlend hell brennen die Gebetskerzen auf dem Altar, hinter dem Vater Nicandro eine einzelne Rose emporhält. Es ist eine Rose aus der heiligen Züchtung, deren Dornen ich selbst auf diese Entfernung erkennen kann, eine Rose, die aufgrund ihrer blutrot leuchtenden Farbe und ihrer scharfen Waffen erwählt und geweiht wurde. In getragenem Singsang verkündet Vater Nicandro, sie sei ein perfektes Symbol jener Schönheit und jenes Schmerzes, die im Glauben liegen, und wir geben im Chor die ritualisierte Antwort.
Nach einer Erlösungshymne bittet Vater Nicandro jene, die gesegnet werden möchten, gemessenen Schrittes nach vorn zu kommen. Aus diesem Grund habe ich mir einen Platz am Rand einer Bank gesucht. Die Rüschen meines Rocks ragen in den Gang, und ich ziehe den Stoff enger an mich, um den Weg frei zu machen.
Einige Leute erheben sich und begeben sich langsam nach
vorn zum Altar. Zwar halte ich den Kopf geneigt, aber meine Augen sind offen, und schließlich spüre ich jemanden hinter mir den Gang entlangkommen. Nun muss ich genau den richtigen Zeitpunkt abpassen. Ein schneller Blick über meine Schulter zeigt mir eine große Frau mittleren Alters, die ein graues Dienerinnengewand trägt. Ich warte, bis sie meine Bank beinahe erreicht hat.
Ruckartig stehe ich auf und trete vor ihr in den Gang. Kurz höre ich sie die Luft einziehen, als ihre Knie leicht die Rückseite meiner Schenkel berühren. Entschuldigend sehe ich mich zu ihr um, und sie erwidert meinen Blick mit einem schüchternen, aber ehrlichen Lächeln.
Ximena steht ebenfalls auf und will mir folgen, aber nun ist es passiert: Zumindest eine Person wird zwischen uns stehen, und meine Kinderfrau wird nicht genau sehen können, was geschieht, wenn ich um meinen Segen bitte.
Einer nach dem anderen treten die Bittsteller zu Vater Nicandro und äußern flüsternd ihr Anliegen. Er betet, dann sticht er den Gläubigen mit dem Rosendorn in die Fingerspitze. Gemeinsam halten sie dann den blutenden Finger über den Altar, bis ein Tropfen als Opfer auf den Stein fällt. Vater Nicandro macht das Zeichen der gewölbten, rechtschaffenen Hand unter dem Kinn des Gesegneten, woraufhin ein anderer Priester die kleine Wunde mit einem Tuch und Wasser mit Zaubernussextrakt versorgt.
Während der kleine Junge vor mir dem Priester etwas zuflüstert, fasse ich ganz langsam unter den Bund meines Rocks nach der Botschaft, die ich vorbereitet habe. Ob mein Plan gelingen wird, hängt von dem Priester ab. Wird er bereit sein, die Nachricht während des heiligen Sakraments entgegenzunehmen,
und wird er sich dabei unbeteiligt geben können?
Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Vater Nicandro wird sicher zornig sein. Was, wenn er die Zeremonie unterbricht? Oder wenn Ximena etwas bemerkt? Gerät sein Leben dann wieder in Gefahr?
Gerade will ich es mir noch einmal anders überlegen, und meine Hand bewegt sich schon wieder zurück zum Bund meines Rocks, um die Nachricht zurückzuschieben, als der kleine Junge beiseitetritt, um seinen Finger zu reinigen. Ich war nicht schnell genug. Für einen kurzen Moment ruht Vater Nicandros Blick auf der winzigen Pergamentrolle, die ich zwischen Daumen und Zeigefinger halte.
Ich trete vor, die Rolle fest an die Brust gedrückt. Vater Nicandro legt mir die linke Hand in den Nacken und zieht meinen Kopf herunter, bis wir uns Stirn an Stirn gegenüberstehen.
»Hoheit«, flüstert er. »Worum ersucht Ihr Gott?« Gleichzeitig fassen Zeigefinger und Mittelfinger der anderen Hand, die auch die Rose hält, nach dem Pergament. Ein schneller, sicherer Griff, und meine Nachricht verschwindet so geübt in seinem weiten Ärmel, als sei Nicandro bestens vertraut mit Intrigenspiel dieser Art.
Ruhig wartet er auf meine Antwort, und ich entscheide mich für die Wahrheit. »Weisheit«, flüstere ich. »Ich brauche so viel mehr, als ich besitze.«
Zustimmung schwingt in seiner Stimme mit, als er den Segen intoniert. Der Stich ist schnell und heftig, und ich vermute, dass der Priester trotz seiner gelassenen Haltung ein wenig durcheinander ist, denn der Dorn dringt viel tiefer
ein, als ich es gewohnt bin. Die
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