Der Feuerstein
Ideen auf mich ein. Viele davon sind unsinnig, einige aber auch nicht, und ich ermutige sie, alles auszusprechen, was ihnen durch den Kopf geht. Ein Vorschlag folgt auf den anderen, bis jemand ruft: »Wieso sollten wir dem König überhaupt dabei helfen, seinen Krieg zu gewinnen? Er hat uns doch auch nie geholfen!«
Ruhig schüttele ich den Kopf. »Nein, wir helfen nicht dem König. Wir benutzen ihn für unseren Krieg.«
»Aber das hier ist sein Land.« Das ist wieder Jacián. »Stellen wir uns einmal vor, der Krieg wäre vorbei. Und sagen wir, Joya d’Arena hätte ihn tatsächlich gewonnen. Dann dürfen
wir gleich wieder Steuern an einen Mann zahlen, der keinen Finger krumm gemacht hat, um uns zu unterstützen. Wenn wir ihm helfen, dann sollte uns später dafür Anerkennung sicher sein. Eine Belohnung.«
Damit kommen wir zum entscheidenden Punkt, und ich kann das Lächeln nicht mehr unterdrücken, das sich nun auf meine Lippen legt. »Wollt ihr die Unabhängigkeit von Joya d’Arena? Wollt ihr euch lieber selbst regieren?« Es ist ein radikaler Gedanke. Er klingt nach Verrat. Die Versammelten sehen mich überrascht und schockiert an, aber auch voll Neugier. »Denn falls ihr das wollt, dann glaube ich, kann ich das geschehen lassen. Ich glaube, ich könnte den König dazu überreden, dass er euch dieses Land überlässt. Ohne Rebellion. Ohne Aufbegehren. Wenn ihr ihm helft, diesen Krieg zu gewinnen, dann könnt ihr selbstständig werden.«
Sie sind völlig ruhig, totenstill. Es ist eine unglaubliche Behauptung, lächerlich beinahe. Aber noch habe ich meinen letzten Trumpf in der Hinterhand.
»Wie denn das?« Cosmé tritt aus den Schatten, und Tränen stehen in ihren Augen. »Wie willst du das bewerkstelligen?«
Ich hole tief Luft. Nun muss ich etwas preisgeben, worüber ich eigentlich Stillschweigen bewahren sollte, und das bedeutet, dass ich Alejandro verrate, aber das flammende Gefühl in meiner Brust sagt mir, dass ich das Richtige tue. »Ich bin nicht nur ein Gast Alejandros. Insgeheim bin ich mit ihm verheiratet. Und er schuldet mir noch ein Hochzeitsgeschenk.«
Überraschtes, scharfes Einatmen. Cosmé steht der Mund
offen. Im Augenwinkel registriere ich eine Bewegung, und gerade noch rechtzeitig wende ich den Kopf. Humberto hat sich umgewandt und verlässt die Höhle.
»Seine Frau«, murmelt Cosmé. »Aber er weiß doch gar nicht, was aus dir geworden ist! Was, wenn er … wenn er jemand anderen heiratet?«
Für einen winzigen Augenblick kann ich diese Frage auch selbst zulassen: Was, wenn er nach meinem Verschwinden wirklich eine andere geheiratet hat? Wäre das so schlimm?
Ich schiebe den Gedanken weg und spreche lieber weiter.
»Bei meiner Hochzeit hat mein Vater eingewilligt, im Gegenzug Truppen zu schicken. Joyas Heer hat sich vom letzten Krieg nie erholt, und Alejandro muss die Lücken in seinen Reihen irgendwie füllen. Daher wird er diese Vereinbarung nicht gefährden wollen. Natürlich kann er nicht ewig warten, aber eine Zeit lang wird er es tun.«
Nun meldet sich Alentín zu Wort: »Würde Euer Vater die Soldaten verweigern, wenn er erführe, dass Ihr vermisst werdet?«
»Vielleicht schon«, räume ich ein. »Und wenn er das täte, dann würde dieser ganze Plan vermutlich scheitern.« Vorsichtig und bemüht, nicht zu eifrig zu erscheinen, mache ich den nächsten Schritt: »Vielleicht wäre es gut, Alejandro eine Botschaft zu schicken? Um ihm Bescheid zu geben, dass es mir gut geht und ich in Sicherheit bin?«
Jacián schüttelt den Kopf. »Wir würden alle an den Galgen kommen!«
»Also nicht an Alejandro«, überlege ich. »Dann werde ich meiner Kinderfrau schreiben und ihr nichts darüber verraten, wer ihr seid oder wo ich mich aufhalte. Eine kurze Notiz,
damit sie weiß, dass ich noch lebe. Ximena wird meinem Mann nur mitteilen, was er unbedingt wissen muss, und sie kann notfalls bei meinem Papá dafür bürgen, dass ich lebe. Ximena dient meiner Familie schon seit langen Jahren, und ihr Wort wird bei meinem Vater ohnehin mehr Gewicht haben als Alejandros.«
Zögernd willigen alle ein. Also werde ich morgen früh eine Nachricht schreiben, die dann jemand zum Brieftaubenposten Basajuan bringen wird. Zwar mag es Wochen dauern, bis meine kleine Notiz dann in Brisadulce ankommt, aber trotzdem bin ich unglaublich erleichtert. Hoffentlich schreibt mir Ximena zurück.
Kurz frage ich mich, ob ich meinen Ehemann nicht mehr vermissen sollte. Zwar habe ich in den letzten Tagen ständig an
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