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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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Mesquitebäume und Duermabüsche aneinander. »Wächst hier viel davon?«
    Sie hebt den Kopf. »Was genau hast du vor … Elisa?«
    »Das weiß ich noch nicht genau. Aber ich glaube, wir werden viel Duermakraut benötigen. Und …« Ich sehe sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Und gute Spitzel.«
     
    Die halbrunde Höhle füllt sich schnell. Normalerweise zünden wir keine Fackeln an, aus Angst, dass das Dorf entdeckt werden könnte, aber heute ist eine Ausnahme. Alle sind gekommen, sogar die Verwundeten, die aufstehen können. Einer der Kundschafter, ein junger Mann von höchstens siebzehn, hat fünf Überlebende mitgebracht, halb verhungert, aber unverletzt, und von daher ist uns ein wenig nach Feiern zumute, während wir darauf warten, dass Vater Alentín den Gottesdienst eröffnet. Während ich die Menge betrachte, die sich allmählich versammelt, werden meine Hände feucht, und ich wünschte, ich hätte zuvor nicht so viel Kaninchenragout gegessen. Wir sind nun beinahe sechzig Leute. Ich versuche, an etwas anderes zu denken.
    Heute Abend habe ich beim Kochen geholfen und sogar
unter sorgfältiger Anleitung selbst ein Kaninchen abgezogen. Kaninchen, habe ich dabei gelernt, lassen sich bemerkenswert leicht von ihrer Haut befreien. Mein ungeschickt geführtes Messer hat zwar ein zerlöchertes und von daher nutzloses Fell produziert, aber ich glaube, ich weiß nun, wie es geht, und könnte es wieder tun.
    Alentín steigt auf einen Felsbrocken und erhebt seinen Arm auf Schulterhöhe, bis alle still sind und ihn aufmerksam anschauen. Er hält eine Rose in der Hand. Ich hoffe, dass er noch eine zweite dabeihat; vielleicht erwartet er aber auch nicht, dass sehr viele Leute eine Bitte äußern werden. Falls er das Sakrament des Schmerzes an alle austeilen wollte, würden die Dornen einer einzelnen Rose bei so vielen Stichen schnell stumpf.
    Gemeinsam rezitieren wir das »Glorifica«, und dann beginnt er zu singen. Zwar erkenne ich den Text, die Melodie ist jedoch ein wenig anders, mehr in Moll und viel bewegender, als ich sie kenne, aber die Stimmen der Kinder klingen hell und klar wie Glocken. Die Melodie prägt sich mir schnell ein, und so singe auch ich von meinen Hoffnungen zu Gott.
    Wir beenden die Hymne, dann stellen wir uns für den Empfang des Sakraments auf. Wenn Vater Nicandro in Brisadulce zum Gottesdienst rief, waren es stets nur wenige, die den Schmerz der Ergebenheit spüren wollten. Aber hier, an diesem Ort verzweifelter Hoffnung und brutaler Realität, stehen alle auf, Erwachsene wie Kinder, und gehen nach vorn, um sich von der Rose stechen zu lassen und den Segen zu empfangen.
    Vater Alentín betet, bittet um Gottes Gunst für die Zeremonie,
und dann zitiert er die Scriptura Sancta: »Hat nicht Gott jene erwählt, die in dieser Welt Schmerz erleiden, auf dass ihnen das Paradies zuteilwürde? Denn es ist der Schmerz, durch den wir erkennen, wie sehr wir seiner rechtschaffenen rechten Hand bedürfen. Und tatsächlich ist es so, dass die Bedürfnisse unseres Geistes jene unseres Körpers übertreffen. Gesegnet sei der Name Gottes.« Einer nach dem anderen lassen sie sich stechen und segnen und verbinden. Belén steht dem Priester zur Seite, versorgt die kleinen Stichwunden mit Salbe, verbindet sie nötigenfalls, und wenn jemand in Tränen ausbricht, ist er mit einer schnellen Umarmung zur Stelle.
    Als ich an der Reihe bin, lächelt Vater Alentín mit traurigem Blick, als er seine Hand auf meinen Nacken legt und meinen Kopf hinunterbeugt, bis unsere Stirnen sich berühren.
    »Worum ersucht Ihr Gott, mein Kind?«
    Das letzte Mal bat ich um Weisheit. Gott muss meine Gebete erhört haben, denn ich fühle mich jetzt wirklich viel weiser. Älter. Anders. Aber ich begreife noch immer nicht, was Gott von mir will. Ich seufze tief. »Alentín, ich brauche Glauben. Ich habe so viele Zweifel an Gott und seinem Willen.«
    Seine Lippen berühren feucht und warm meine Stirn. »Jeder zweifelt«, flüstert er. »Versucht, in solchen Augenblicken zu beten. Gott wird Euch zeigen, was Ihr tun müsst, wenn die Zeit gekommen ist.«
    Er sticht in meinen Finger, der daraufhin leise pocht. Dann hält er meine Hand über die Kochstelle – hier an diesem entlegenen Ort gibt es keinen Altar –, bis ein einziger Blutstropfen sich auf den zischenden Kohlen braun färbt. Anschließend gibt er mir einen kleinen Stups, und
ich gehe zu Belén hinüber, der meinen Finger sorgsam säubert und verbindet. Ich setze mich wieder an

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