Der Feuerstein
wollte er uns einen Pfad durch die Luft pflügen. Seit zwei Tagen hat er kein Wort mehr mit mir gesprochen.
Mein Rucksack ist schwer – ich trage meine Decken, gedörrte Vorräte, einen Wasserschlauch und Tinte sowie Tierhaut, um alles über das feindliche Heer aufzuzeichnen –, und die Riemen schneiden tief in meine Schultern ein.
Humberto geht mit schnellem Schritt voran. Wie schon auf unserer ersten Reise kann ich nur mit Mühe mithalten. Zwar bin ich nicht mehr die dicke Prinzessin, die vor einigen Wochen aus ihrem Bett in Brisadulce verschleppt wurde, aber verglichen mit meinen flinken Kameraden bin ich trotzdem langsam und ungeschickt. Durch die Wüste sind wir zwar zügig vorangekommen, aber unser Weg war dort auch gerade und eben. Hier, im Bergland, müssen wir ständig Haken um Felsbrocken und Mesquitebüsche schlagen und immer wieder steile Anstiege bewältigen, um auf der anderen Seite abwärtszurutschen, und es dauert nicht lange, bis meine Knie und Knöchel heftig schmerzen. Außerdem mache ich zweifelsohne mehr Lärm als meine vier Gefährten zusammen, und ich kann mir beim besten Willen nicht
vorstellen, wie ich je unbemerkt an das Heer Inviernes herankommen soll.
Als wir gegen Mittag kurz Halt machen, um ein wenig Dörrfleisch und getrocknete Datteln zu essen, klebt mir schon mein Gewand am Oberkörper, und die Haut unter den Rucksackträgern brennt wie ein offener Sonnenbrand. Erleichtert setze ich mein Gepäck ab und suche mir dann ganz bewusst einen Platz neben Humberto, der es sich auf einem Felsen gemütlich gemacht hat. Er hält die Augen unverändert auf einen entfernten Punkt gerichtet und kaut auf seinem Dörrfleisch herum.
»Humberto?«
»Hmm«, brummt er.
»Wieso bist du böse auf mich?«, frage ich mit gesenkter Stimme.
Mich streift ein brennender Blick. »Ich bin nicht böse.«
»Du ignorierst mich.«
»Ja.«
Ich stoße einen entnervten Seufzer aus. »Ich habe noch nie vorher einen Freund gehabt. Nur Lehrer, Kinderfrauen und Diener und … eine Schwester. Deswegen verstehe ich nicht sehr viel davon, wie man sich als guter Freund verhält. Ich weiß nicht, womit ich dich verärgert habe, und ich weiß auch nicht, was ich jetzt machen soll.«
»Dann ist Seine Majestät nicht dein Freund?« Seine Stimme klingt überraschend ironisch.
Ist Alejandro mein Freund? Nachdenklich schüttele ich den Kopf. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Er hat einmal zu mir gesagt, er wünscht sich, dass ich seine Freundin sein werde, aber inzwischen frage ich mich, ob das nur Worte waren,
wie man sie zu einem Kind sagt, um es zu besänftigen. Wir haben nie Zeit miteinander verbracht, um uns kennenzulernen. Er hat einen Leibwächter, Lord Hector, und ich glaube, er und ich hätten vielleicht eines Tages Freunde werden können.«
»Du hast mir nicht gesagt, dass du verheiratet bist.«
»Ich habe nicht die Angewohnheit, Entführern gegenüber irgendwelche Staatsgeheimnisse auszuplaudern«, gebe ich kurz angebunden zurück. »Natürlich habe ich nichts gesagt! Und jetzt siehst du ja, was passiert! Du bist wütend.«
»Nein, ich komme mir bloß … dumm vor.«
Ich sehe ihn von der Seite an. »Wieso? Ich halte dich nicht für dumm.«
Endlich erwidert er meinen Blick. »Ich dachte, vielleicht, wenn das alles vorbei ist, dann könnten du und ich … aber das ist vollkommen idiotisch, denn schließlich bist du eine Prinzessin und ich ein Karawanenführer. Siehst du? Ich bin dumm.« Damit springt er auf und schiebt sich das übrige Trockenfleisch unter die Schärpe, die er sich um die Hüfte gebunden hat.
Ich bin viel zu verblüfft, um ihm hinterherzugehen. Hitze steigt meinen Körper hinauf, und mir wird klar, dass ich die Dumme war, weil ich nämlich nicht verstanden habe, weshalb er mich beschützen wollte, weshalb er so gern mit mir geredet hat und weshalb seine Augen stets auf meinem Gesicht ruhten. Es ist eine verwirrende Vorstellung, wundervoll und beängstigend zugleich. Der erste klare Gedanke ist: Ich wünschte, Alejandro hätte so empfunden. Der nächste: Ich bin glücklich, dass Humberto es tut. Diese Erinnerung möchte ich mir erhalten, frisch und einzigartig, ohne dass sie sich mit der an Alejandro vermischt.
Den Rest des Tages spüre ich die Schmerzen in den Schultern gar nicht mehr. Stattdessen schwebe ich abwesend dahin und staune über dieses Wunder, dass ich einem anderen Menschen so wichtig sein kann. Als wir am Abend auf einem Felsvorsprung über einem trockenen,
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